Tiffany Duo 48
Jahren hatte sie sich gefragt, ob sie überhaupt je zu solchen
Empfindungen fähig sein könnte. Nun wußte sie es, und wenn Nick solche
Empfindungen in ihr zu wecken vermochte, dann bestimmt auch ein anderer. Oder?
Konnte sie nicht einfach dankbar sein, den Sex mit ihm genießen und ihm fröhlich
nachwinken, wenn er abreiste? Schließlich führte sie hier doch ein Leben, das ihr
gefiel, weit ab vom Streß der modernen Welt. Sie wollte doch in diese Welt gar nicht
zurückkehren. Oder? Und Nick würde ganz sicher nicht hierbleiben wollen. Warum
also konnte sie die Affäre also nicht einfach genießen, solange sie dauerte?
"Nein." Sie erschrak, als sie merkte, daß sie das laut gesagt hatte. Dann sagte sie es aber gleich noch einmal. "Nein!"
Es war nun mal nicht ihre Art, übrigens wohl auch nicht die Art der meisten anderen
Frauen, daß sie einem Mann nur ihren Körper schenkte, aber nicht ihr Herz. So
einfach war das.
Mit leichtem Entsetzen stellte sie allerdings auch fest, daß es längst zu spät war.
Irgendwann auf dem Weg, während sie mit ihm gestritten, sich vor ihm versteckt,
mit ihm geflirtet und ihn gemieden hatte, irgendwann war es schließlich passiert. Sie hatte aufgegeben. Sie hatte sich in ihn verliebt. Ehe sie ihm noch ihren Körper
geschenkt hatte, hatte sie ihm ihr ganzes Herz, ihre Seele und ihr Denken geschenkt.
Das genau war der Grund, warum sie so verzweifelt gegen ihn angekämpft hatte.
Denn was nützte es, wenn man einem Menschen sein Herz schenkte, und er es gar
nicht wollte? Das war schlichtweg entwürdigend.
Sie hatte bereits eine gescheiterte Ehe hinter sich. Sie war nicht der Typ für ein
beschauliches Eheleben, für ein Häuschen in der Vorstadt und zwei bis drei Kinder,
Colin war süß, tolerant und anspruchslos gewesen, und schließlich hatte all das sie
so erstickt, daß sie nur noch an Flucht gedacht hatte. Wieviel schlimmer mochte es
dann erst mit einem engstirnigen, selbstbewußten Tyrannen wie Nick werden? Mit
jemandem, der sich über alles lustig machte, an das sie glaubte, der ihre Einwände
einfach niederwalzte? Wieviel schlimmer mochte es dann erst werden mit
jemandem, den sie so abgöttisch liebte?
Was hatte er in der vergangenen Nacht geflüstert? "Jetzt gehörst du mir", hatte er gesagt. "Ich habe deine Seele gewonnen." Und dann hatte er sie in die Lippe gebissen. Sie hob die Hand und berührte die Stelle. Sie brannte ganz leicht. Zitternd ließ sie die Hand wieder sinken. Dieses kleine, besitzergreifende Zwischenspiel hatte sie fast vergessen. Jetzt, wo er sie also hatte, würde er sie überhaupt behalten
wollen? Und wenn, für wie lange?
"Sei hier", hatte er ihr befohlen. Nun, das kam nun ganz und gar nicht in Frage.
Selbst wenn sie sich durch den dicksten Schneesturm kämpfen müßte, sie würde
nach Hause gehen und sich so lange von ihm fernhalten, bis sie dieses ganze
Durcheinander erst einmal verarbeitet hatte. Blieb sie jedoch hier, in seinem Haus,
dann würde sie wieder in jenem behaglichen Bett nebenan landen, und wer wußte,
ob sie dann noch einmal die Kraft hatte zu gehen, bevor er zurück mußte.
"Verdammt", murmelte sie und trank den Kaffee aus. Die Bettdecke glitt zu Boden, als Sybil aufstand, und eine Weile
betrachtete sie gedankenverloren ihren nackten Körper. Überall auf ihrer Haut hatte
sein Liebesspiel Spuren hinterlassen, kleine blaue Flecke und gerötete Stellen. Zu
keinem Zeitpunkt hatte Nick ihr wehgetan, nur seine Spuren, ja, die hatte er wirklich zurückgelassen.
Seufzend hüllte Sybil sich wieder in die Decke. Eins nach dem anderen, und das
erste, was sie nun in Angriff nehmen mußte, war von hier wegzukommen. Sie ging
zum Telefon und wählte Dulcys Nummer. Niemand meldete sich.
Sie zögerte nur ganz kurz, ehe sie auf die Gabel drückte und erneut wählte. Wenn
das jetzt auch nicht klappte, würde sie zu Fuß gehen. Dazu war sie trotz der
Entfernung und des kniehoch liegenden Schnees fest entschlossen. Dreimal ertönte
das Freizeichen, dann meldete sich eine freundliche, zarte Stimme.
"Hallo?"
"Leona! Ein Glück, daß du da bist. Ich brauche deine Hilfe."
Ihr wurde ganz schwach vor Erleichterung.
***
"Habe ich dich nicht gleich gewarnt?" meinte Leona vorwurfsvoll. Sie hielt den Blick ihrer kleinen schwarzen Augen fest auf die verschneite Straße gerichtet. Sie fuhr
sehr langsam und vorsichtig, so langsam, daß sie eine halbe Stunde für die Strecke
benötigte, die Sybil sonst in fünf und ein
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