Tiffany Duo 48
ihm
solche Angst eingejagt hatte. Und er würde sie nie, nie wieder allein lassen.
Die Dunkelheit in der Black Farm war ein schlechtes Zeichen, dennoch rannte Nick
ins Haus und rief nach ihr. Seine Stimme hallte trostlos durch die leeren Räume. Er
fand nichts, keine Nachricht, kein Hinweis, daß sie überhaupt je da gewesen war.
Nur seine Pyjamajacke lag auf dem ordentlich gemachten Bett und wartete auf ihre
Rückkehr.
Dulcy ging nach dem ersten Klingeln ans Telefon. "Wo ist sie?" brüllte Nick in den Hörer.
"Ich weiß es nicht. Sind sie schon wieder zurück? Sie müssen ja geflogen sein!"
"Hören Sie auf, Dulcy, ich habe jetzt keine Zeit für Scherze. Leona hat ihre Wohnung in der Stadt verlassen, ganz gleich, was sie vorhat, sie wird nicht mehr
wiederkommen. Denken Sie nach, um Himmels willen! Wo könnten sie hingefahren
sein?"
"Nick, ich habe nicht die blasseste ..."
"Können Sie es nicht auspendeln? Das Tarot legen? In eine Kristallkugel sehen? Tun Sie doch irgend etwas! Sie sind doch hier die Hexe, die mit dem direkten Draht zum
Unbegreiflichen!"
Auf der anderen Seite setzte gekränkte Stille ein. "Ich weiß nicht, wo sie ist, Nick, ich kann es auch nicht herausfinden. Ich habe schon alles probiert."
"Was ist mit den Hunden? Sie haben sie doch bei sich, nicht wahr? Können die nicht die Spur aufnehmen?"
"Diese Hunde würden durch das erstbeste Kaninchen abgelenkt werden, sie sind
einfach keine Spürhunde", erklärte Dulcy geduldig. "Lassen Sie uns doch mal ganz logisch vorgehen. Sie sind in Leonas Auto auf der Uferstraße gesehen worden."
"Wo führt diese Straße hin?"
"Ganz um den See herum. Soweit ich weiß, sind die meisten Sommerferienhäuser
jetzt im Winter abgeschlossen. Manchmal kommen Leute über Weihnachten
dorthin, aber ich weiß nicht, ob dieses Jahr auch."
"Das ist ja alles sehr hilfreich", brauste Nick auf.
"Wir haben zwei Möglichkeiten", fuhr Dulcy ruhig fort, ohne auf seinen
Wutausbruch einzugehen. "Entweder die Montebellos oder die Barringtons.
Versuchen Sie es zuerst bei den Montebellos. Es ist das zweite Haus nach der Schule.
Die Barringtons leben etwas abgeschiedener, ungefähr drei Meilen
von den Montebellos entfernt. Die Reifenspuren müßten Ihnen weiterhelfen."
"Warum sind Sie eigentlich besorgt?" fragte Nick plötzlich. "Ich dachte, Leona wäre eine gute Freundin von Ihnen."
"Leona gehört zu den Leuten, die Hexen in Verruf bringen", erklärte Dulcy gelassen.
"Sollen wir uns bei den Barringtons treffen?"
"Nein, bleiben Sie zu Hause. Ich rufe Sie an, wenn ich Hilfe
brauche."
***
"Wie lange willst du mich hier festhalten?" fragte Sybil so ruhig wie möglich. Sie saß mit untergeschlagenen Füßen am Kamin und hatte sich wärmend den Mantel
umgewickelt. Die Sonne war schon lange untergegangen, aber Leona hatte sich
geweigert, Licht zu machen, aus Angst, ein zufällig Vorbeigehender könnte ihre
Anwesenheit bemerken. Eine überflüssige Sorge, hier gingen nie Menschen vorbei,
und sicher schon gar nicht am Abend der Weihnachtsfeiertage. "So lange es nötig
ist", entgegnete Leona. "Ich hatte mir eigentlich etwas Besseres von dir erwartet, Sybil. Dem Professor war so verliebt, daß ich hoffte, er würde keine Zeit mehr
haben, in meinen Angelegenheiten herumzuschnüffeln. Da habe ich mich wohl
verschätzt."
"Hast du die alten Damen wirklich bestohlen?"
"Natürlich. Du brauchst gar nicht so mißbilligend zu klingen, Sybil." Leona saß ihr gegenüber, einen Becher Instantkaffee in der einen Hand, die Pistole in der anderen.
Sybil fiel auf, daß sie Leona noch nie hatte Kaffee trinken sehen, allerdings hatte sie sie auch noch nie mit einer Pistole gesehen. Wahrlich, ein Tag voller
Überraschungen. "Ich habe ihnen immer genug Geld zum Leben gelassen. Keiner
von ihnen wird es an etwas fehlen. Sie haben nur ihren Kindern nichts mehr zu
vererben."
"Findest du nicht, daß das ziemlich kriminell ist?"
"Ganz und gar nicht. Die Kinder kommen nie zu Besuch. Sie bringen ihre
verwitweten Mütter in Altersheimen und Pflegeheimen unter und warten, bis sie
sterben, damit sie endlich absahnen können. Warum sollten diese Kinder also das
Geld bekommen, wo sie sich noch nicht einmal um die alten Damen gekümmert
haben?"
"Das ist ja sehr ergreifend, Leona", bemerkte Sybil zynisch. "Aber Mary Philberts Kinder kommen jedes Wochenende, sie nehmen sie überall mit hin, selbst in die
Sommerferien. Mary wünschte sogar manchmal, sie hätte etwas mehr Ruhe. Und
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