Tiffany Duo Band 0119 (German Edition)
er an ihr so interessant fand. Zugegeben, sie war ganz hübsch, hatte braune Haare und Augen und war mittelgroß. Aber nichts an ihr rechtfertigte einen so eingehenden Blick, nicht einmal die Tatsache, dass sie bis auf die Haut durchnässt war. Was zu schade war, denn er war ein Mann, der ihr gefallen könnte, ausgesprochen gut sogar.
Gray war größer als sie, sodass sie zu ihm aufsehen musste. Trotz seiner Größe waren seine Schultern fast ein bisschen zu breit. Er trug ein Cordhemd, das genauso ausgebleicht wie seine Jeans war. Struppiges dunkles Haar umrahmte sein kantiges Gesicht, seine Lippen jedoch waren voll und wie geschaffen zum Küssen. Sofort tadelte sich Audrey wegen dieses Gedankens.
“Kennen wir uns irgendwoher?”, fragte sie, obwohl sie sicher war, dass sie sich daran erinnern würde.
Er studierte sie, als wollte er einem Geheimnis auf die Spur kommen. “Nein. Haben Sie Ihr Auto abgeschlossen?”
“Nein”, erwiderte sie. “Warum?”
“Ich hole Ihr Gepäck rein.” Er warf Hawk einen raschen Blick zu. “In welchem Zimmer soll sie schlafen?”
Anders als Hawk nahm Gray offenbar an, dass sie über Nacht bleiben wollte.
“In dem auf dem Nordflügel, würde ich sagen.”
“Wir sehen uns dort.” Gray zog sich einen Wollpullover über, nahm an der Tür eine Regenjacke vom Haken und ging nach draußen. Audrey beneidete ihn um seine warme Kleidung und drehte sich fröstelnd wieder zum Feuer, dessen Wärme ihre nassen Sachen durchströmte.
Sie ließ den Blick durch die Lobby der Gästeranch schweifen. Das Original-Southwestern-Dekor war wie aus einer Inneneinrichtungszeitschrift, nur die modernen Farben passten nicht ganz. Die dunklen Fichtendielen glänzten, der schwache Geruch von Bodenwachs drang ihr in die Nase und beschwor Bilder von Heimeligkeit herauf, die sie mit dem Schmerz des Verlusts erfüllten. In der letzten Zeit hatte sie angefangen, von einem eigenen Zuhause zu träumen, unsicher, ob es ihre biologische Uhr war oder die tiefe Einsamkeit, seit ihre Mutter gestorben war.
Brummend zog Hawk einen Schlüssel aus dem Empfangstisch.
“Ganz schöner Sturm”, bemerkte Audrey in einem fröhlichen Tonfall, der die Leute gewöhnlich zugänglicher machte.
“Ja.”
“Der Regen hat mich überrascht.” Sie lachte. “Ich war nicht gerade darauf vorbereitet.”
Er erwiderte nichts.
So viel zum Wetter, dachte sie und suchte ein neues Gesprächsthema, als Hawk zum Flur ging und sie widerwillig das wärmende Feuer verließ und ihm folgte.
“Wie viele Gäste kann
Puma’s Lair
aufnehmen?”, fragte sie, nur um etwas zu sagen. Den Büchern nach wusste sie, dass es maximal fünfunddreißig waren, wenige im Vergleich zu den anderen Objekten, die Lambert Enterprises besaß.
“Nie drüber nachgedacht.”
“Ich wette, Sie sind froh, wenn der Frühling da ist. Regnet es oft so wie heute?”
“Nein.”
Audrey seufzte und gab es auf, Hawk aus der Reserve zu locken. Die Kerzen in den Wandleuchtern warfen ein flackerndes Licht an die Wände, dass sie sich hundert Jahre zurückversetzt fühlte. Ein kühler Luftzug strich durch den Gang, und durch irgendeine Ritze heulte leise der Wind.
Wenn Richard den Termin nicht hatte einhalten können, zu dem er sie von Denver hierher kommen ließ, warum hatte er ihr dann nicht Bescheid gesagt? Und wer war dieser Grayson Murdoch mit dem wachsamen Blick?
Sie bogen um ein paar Ecken, bis Audrey nicht mehr wusste, wo sie waren, und Hawk vor einer Tür stehen blieb und den Schlüssel ins Schloss steckte. Quietschend öffnete sich die Tür.
“Ich hole noch eine Lampe”, sagte Hawk und reichte Audrey den Schlüssel. “Ich komme sofort wieder.”
Sie sah ihm nach, als er in dem Gang verschwand, und blickte in das dunkle Zimmer. Nicht einmal die Umrisse eines Fensters waren sichtbar. Sie schluckte und wünschte, Hawk erschiene wieder, so schweigsam er auch war. Von allen Kindheitsängsten stand die Furcht vor der Dunkelheit ganz oben auf ihrer Liste.
Eine Ewigkeit war vergangen, seit sie mit fünf Jahren in der Finsternis gefangen gewesen war und Brandgeruch wahrgenommen hatte.
Sie wünschte, das ungute Gefühl würde verschwinden, und zwang sich einzutreten. Es gibt nichts, wovor du Angst haben müsstest, schalt sie sich im Stillen. Dennoch krampfte sich ihr der Magen zusammen. Sie wartete auf der Schwelle, bis sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Schließlich erkannte sie die Umrisse des Bettes, einer Kommode und eines Fensters auf
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