Tiffany Duo Band 0119 (German Edition)
sollte besser gehen.”
Ihr Vater hob den Kopf und schaute sich grimmig und rastlos um, wie ein Bär, der aus seinem Winterschlaf erwacht. “Sicher, tu dir keinen Zwang an. Vielleicht solltest du es wirklich.” Und dann, als Charly sich unsicher umdrehte und Anstalten machte zu gehen, hörte sie hinter sich: “Ich nehme an, den Jungen hast du gesehen … deshalb bist du ja schließlich gekommen.”
Sie fuhr keuchend herum, wobei sie sich fühlte, als hätte jemand die Hand nach ihrem Herzen ausgestreckt und würde es zerquetschen. “Ja. Ja, ich habe ihn gesehen. Aber das ist nicht der Grund, weshalb ich gekommen bin. Wie auch? Ich wusste ja gar nicht, dass er hier ist.”
Ruhig … ganz ruhig, Charly
.
Was tat sie da? Der Mann war krank, er wäre fast gestorben, und sie fauchte ihn an. Sie sollte nicht hier sein, sie hätte das nicht sagen sollen!
Sie presste die Kiefer aufeinander und versuchte, sich wieder in die Gewalt zu bekommen, aber die Worte drängten sich ihr trotzdem über die Lippen: “Ich bin … deinetwegen gekommen.”
Ihr Vater sank in die Kissen zurück und starrte sie an. “Warum?”
Sie riss ihren Blick von ihm los, drehte dem Bett und den Apparaturen den Rücken zu und rang, mit einer Hand ihre Brust und mit der anderen ihren Bauch umklammernd, um Fassung. Ich kann das nicht, dachte sie. Nicht hier, nicht jetzt.
Wie viele Jahre lang hatte sie sich diesen Augenblick ausgemalt, wie oft hatte sie sich das, was sie ihrem Vater sagen würde, vorgesagt, dem Mann, der jetzt in diesem Bett lag und nach dessen Anerkennung sie sich ihr ganzes Leben lang so verzweifelt gesehnt hatte? Wie oft hatte sie sich selbst gefragt: Jetzt? Verdiene ich sie jetzt? Und die Antwort war immer gleich ausgefallen: Nein, noch nicht. Mach noch ein bisschen weiter. Klettere auf der Karriereleiter noch eine Stufe höher … versuch noch ein bisschen mehr zu erreichen … und dann vielleicht. Und jetzt, nachdem sie gekommen war, um sich die so hart verdiente Anerkennung abzuholen, musste sie feststellen, dass sie die ganze Zeit über einer Schimäre nachgejagt war.
Warum?
hatte er sie gefragt. Warum bist du gekommen?
Ja, warum, in der Tat. Es war Zeit, sich der Wahrheit zu stellen. Das Einzige, was sie von ihm wollte, konnte er ihr nicht geben. Ihr Vater wollte sie nicht. Er liebte sie nicht. Er hatte sie nie geliebt und würde sie nie lieben.
“Es tut mir leid”, flüsterte sie. “Ich hätte nicht kommen sollen. Es war ein Fehler. Es tut mir leid …”
“Nein!” Es war nur ein schwaches Echo seines vertrauten tiefen Bellens, aber es hatte noch immer die Macht, sie auf der Stelle festzunageln. Sie drehte sich um und sah, dass sich sein Mund auf eine seltsame Art und Weise bewegte. So unglaublich es scheinen mochte, aber er sah aus wie ein Kind, das sich verzweifelte Mühe gab, nicht zu weinen. “Nein … geh nicht. Ich bin es … ich bin es, der … sich entschuldigen müsste.” Sie hatte ihn noch nie mit einer derart schwachen und zittrigen Stimme sprechen hören. Erschrocken schlang sie die Arme um ihren Oberkörper, aber sie war machtlos dagegen, dass sie zitterte.
Er zögerte, dann machte er eine ungeduldige Handbewegung. Sie konnte fast sehen, wie er seine Kräfte sammelte, und als er wieder sprach, klang seine Stimme zwar noch leise, aber fest.
“Weißt du, ich glaube, es stimmt, dass es den Blickwinkel verändert, wenn man das Jenseits streift.” Er hustete, verlagerte sein Gewicht und fuhr dann düster fort: “Du hast recht, ich war nie ein Vater für dich. Nach … nach dem Tod deiner Mutter, nun, du warst noch so klein … du jagtest mir eine Heidenangst ein, wenn du die Wahrheit wissen willst. Deshalb überließ ich dich Dobrina. Es war leichter, verstehst du. Nichts zu fühlen. Und ich … nun, ich vermute, es ist mir zu einer Gewohnheit geworden, die ich nicht wieder ablegen konnte. Vielleicht habe ich es auch nie versucht. Als du weggingst …” Er hob leicht eine Hand, aber es war genug. Charly schlug sich die Hand vor den Mund, um das Schluchzen zu unterdrücken, das in ihrer Kehle aufstieg.
Ich kann es nicht, dachte sie. Ich habe mir versprochen, dass ich nicht weine.
“Als du weggingst”, fuhr ihr Vater mit leiser, bebender Stimme fort, “dachte ich, dass ich nur das bekommen hätte, was ich verdiente. Aber ich holte den Jungen zu mir und bat Gott in Seiner ewigen Güte um eine zweite Chance. Lange Zeit glaubte ich, er würde mich nicht erhören. Dann wurde mir klar, dass er
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