Tiffany Duo Band 0133
dachte Debbie niedergeschlagen. Für sie war schon lange nichts mehr okay. Ihre eiserne Selbstbeherrschung, die ihr geholfen hatte, die lange Fahrt und alles, was davor passiert war, zu überstehen, hing nur noch an einem dünnen Faden. Ein kleiner Ruck, dann würde er zerreißen, und sie würde sich aufribbeln wie eine alte Strickjacke. Sie konnte schon spüren, wie sie an den Rändern ausfranste.
Aber sie war dankbar, dass er versuchte, sie zu trösten.
Immer noch nach einer Antwort suchend, drehte sie sich in dem Moment um, in dem er nach dem T-Shirt griff, das er über der Lehne des Stuhls vor ihrer Frisierkommode geworfen hatte. “Es tut mir leid. Ich wusste nicht, dass …”
Er zog sich das Hemd über den Kopf. “Ist schon okay. Sie können das Bett ruhig haben. Meine restlichen Sachen räume ich morgen raus.”
“Ich … danke.” Plötzlich bekam sie Gewissensbisse. “Ich suche Ihnen noch ein Kopfkissen raus.”
“Danke, ich komme schon zurecht.”
Dann kannte er sich also in den Schränken ihrer Mutter aus. Dieser Gedanke schmerzte sie. Debbies Teenagerjahre waren von einer Reihe von
Onkeln
geprägt gewesen, von denen die einen mehr, andere weniger vertraut gewesen waren, manche nett, andere weniger nett, doch alle waren sie dazu da gewesen, ihre Mutter zu trösten, die sich nach dem Tod ihres Vaters schrecklich einsam gefühlt hatte. Aber Debbie glaubte nicht wirklich, dass dieser neueste Gast für ihre Mutter das war, was diese
Onkel
gewesen waren. Dafür war er doch bestimmt zu jung, oder?
“In Ordnung”, sagte sie, ging nach unten und aus dem Haus.
Die schwüle Augustnacht hüllte sie ein. Zikaden zirpten in den verblühten Azaleen und Kiefern. Nachtfalter taumelten trunken in das Licht an der Ecke des alten Fachwerkhauses und wieder hinaus. Ihre Joggingschuhe knirschten auf der mit Kies bestreuten Einfahrt. Trotz der Schwüle erschauerte Debbie, als sie sich dem geparkten Auto näherte.
Chris, der vorn saß, war wach, sein blasses Gesicht leuchtete schwach in der Dunkelheit. Als Debbie seinen besorgten Gesichtsausdruck sah, zog sich alles in ihr zusammen. Mit seinen acht Jahren war er doch noch so klein. Zu klein, um damit zurechtzukommen, dass sein Leben aus den Fugen geraten war. Die schlimmen Ereignisse des letzten Jahres hatten ihr unbeschwertes, glückliches Kind in diesen ängstlichen, verunsicherten Jungen verwandelt. Mehr als alles auf der Welt wünschte sich Debbie, dass für ihre Kinder alles wieder gut werden möge.
Als er ihre Schritte hörte, richtete er sich auf und öffnete die Beifahrertür.
“Hi, mein Schatz. Wir sind da.”
Er nickte.
Auf der Rückbank hinter ihm schlummerte die zehnjährige Lindsey, alle viere weit von sich gestreckt. Ihr Mund war leicht geöffnet, ihre dunklen Wimpern bildeten einen schwarzen Halbkreis auf ihren blassen Wangen. Im Schlaf sah sie immer noch aus wie das süße Baby, das sie einst gewesen war, sodass Debbie sich am liebsten neben sie gelegt und sie in die Arme genommen hätte.
Aber weil sie wusste, dass ihre Tochter derzeit so etwas nicht duldete, legte sie ihr nur eine Hand auf die Schulter. “Lindsey? Honey, wir sind da.”
Das Mädchen schlug die Augen auf. “Du hast mich geweckt”, sagte sie vorwurfsvoll.
“Ja. Komm, Liebes. Jetzt kannst du ins Bett.”
“Ich bin müde.”
“Ich weiß.”
Mit sanftem Zureden gelang es ihr schließlich, die Kinder zum Verlassen des Autos zu bewegen, wobei sie aufpasste, dass Lindsey ihr Schmusetuch und Chris seinen Teddy dabeihatte. Einen Moment lang wünschte sich Debbie auch etwas zum Kuscheln. Aber sie war zu alt für ein Schmusetuch. So griff sie denn stattdessen nach den Sachen der Kinder und ging mit ihrer Familie den kurzen Weg bis zum Haus hinauf, wobei sie sich ein Bad, ein weiches Bett und für den nächsten Morgen ein leckeres Frühstück versprach.
Über die Treppe fiel ein Schatten, als der Fremde in der offenen Haustür auftauchte. Angestrahlt von dem Licht im Rücken wirkte er riesig. Debbie blieb stehen, ihr Herz setzte einen Schlag lang aus. Chris presste sich an ihre Seite.
“Kann ich Ihnen helfen?”, rief ihr der Mann mit tiefer Stimme entgegen.
Debbie atmete tief durch. Wir sind in Benson, North Carolina, erinnerte sie sich selbst. Meilenweit weg von jeder Bedrohung für ihre Kinder.
Sie rang sich ein Lächeln ab. “Nein, danke. Wir kommen zurecht.”
Lindsey zog ein missmutiges Gesicht. “Wer ist das?”
“Das ist Mr MacNeill”, gab Debbie zurück und
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