Tiffany Duo Band 0149 (German Edition)
unbeschriebenes Blatt Papier zu stieren.
Natürlich wusste Nick, dass er beobachtet wurde. Er konnte förmlich spüren, wie die Augen der Zuschauer im Gerichtssaal auf ihn gerichtet waren. Aber in den vergangenen zwei Wochen hatte er gelernt, diese Beobachter zu ignorieren. Er hatte sich nur auf die Beweisführung des Staatsanwalts und auf die Worte seines Verteidigers konzentriert.
Seine Verteidigung hatte sich schlicht nach der Wahrheit gerichtet: Er war unschuldig. Und Unschuldige steckte man nicht ins Gefängnis. Unschuldige schickte man nicht auf den elektrischen Stuhl.
Der Richter gab ein Zeichen, und Nick erhob sich zusammen mit Norman. Noch immer sah ihn niemand an, nicht einmal der Richter. Nicks Herz schlug jetzt so heftig, dass er fürchtete, es würde zerbersten. Angespannt wartete er auf die erhofften Worte:
Nicht schuldig.
Er wartete auf die Erleichterung in den Augen der Geschworenen und auf ein ermunterndes Schulterklopfen von Norman.
Schuldig.
Nick traute seinen Ohren nicht. Dem Urteil folgte ein Aufruhr im Gerichtssaal. In das allgemeine Murmeln mischten sich vereinzelte aufgebrachte Rufe. Reporter verließen eilig den Saal, um die Neuigkeiten so schnell wie möglich an die Medien weiterzugeben. Der Richter versuchte für Ruhe zu sorgen, während zwei Polizisten auf Nick zugingen, um ihn abzuführen.
Er war wie benommen und nahm kaum wahr, wie ihn die Polizisten aus dem Saal führten, um ihn zurück ins Gefängnis zu bringen. Für einen Moment schien alles vor ihm zu verschwimmen, und noch immer dröhnte es in seinen Ohren:
Schuldig.
Dann bemerkte er, wie einer der beiden Ordnungshüter Handschellen hervorholte. Nick konnte nur noch seinem Instinkt folgen. Mit einer plötzlichen Bewegung riss er sich los und griff sich die Waffe des Polizisten.
1. KAPITEL
Shea hetzte die Stufen zum Gerichtsgebäude hinauf. Während sie mit einer Hand ihr schulterlanges dunkles Haar richtete, rief sie: “Wie sehe ich aus?”
Mark, wie immer in einem gammeligen T-Shirt und einer alten Baseballkappe, die sein leuchtend rotes Haar verbarg, grinste ihr hinter seiner Kamera entgegen. “Süße, du siehst toll aus.”
Aber Shea fühlte sich alles andere als toll. Die Augusthitze war stickig und feucht. Sie fürchtete um ihre Frisur und ihr Make-up. Gerade mal fünfzehn Minuten hatte sie nach dem völlig unerwarteten Anruf des Senders gehabt, um sich zu schminken und umzuziehen. Dabei musste sie sich doch heute von ihrer besten Seite zeigen. Mit etwas mehr Zeit hätte sie wenigstens noch ihre Pumps anziehen können. Jetzt trug sie Turnschuhe zu ihrem roten Kostüm. Doch was machte das schon, die Kamera würde sowieso nur ihren Oberkörper einfangen.
“Also”, feixte Mark. “Wie hast du Astrid außer Gefecht gesetzt?”
“Ich schwöre, ich habe nichts damit zu tun.” Nervös umklammerte Shea ihr Mikrofon.
Astrid Stanton – groß, blond, blaue Augen – war seit fast sieben Jahren bei Kanal 43 und sorgte dort regelmäßig für hohe Einschaltquoten. Der Mordfall Nicholas Taggert war eigentlich ihre Story. Aber dann fing sich Astrid einen Grippevirus ein, der sie völlig außer Gefecht setzte und mit dem Shea tatsächlich nicht das Geringste zu tun hatte.
“Ein verrückter Fall.” Mark spürte Sheas Nervosität und versuchte sie etwas abzulenken. “Taggert soll seinen Nachbarn getötet haben, weil der sein Haus giftgrün gestrichen hatte?”
“Artischocke”, murmelte sie.
Mark sah verwirrt aus.
“Die Farbe war artischockengrün”, erklärte Shea. “Und es steckt mehr hinter dem Mord als das. Niemand tötet aus einem so unerheblichen Grund – hoffe ich jedenfalls.”
Diese Story war Sheas große Chance. Sie hatte nie etwas anderes werden wollen als Reporterin, und sie war es leid, nur die Wettervorhersage zu moderieren oder unbedeutende Boulevardnachrichten zu verlesen. Was sie interessierte, waren aufregende und spannende Neuigkeiten. Und was gab es Spannenderes als Mord?
Obwohl Nicholas Taggert bis zum Schluss seine Unschuld beteuert hatte, zweifelte niemand ernsthaft daran, dass man ihn schuldig sprechen würde. Alle Indizien sprachen gegen ihn: Auf der Tatwaffe, einem Baseballschläger, hatte man seine Fingerabdrücke gefunden; in seiner Küche waren Spuren von Blut und Farbe, die auch auf einem T-Shirt mit der Aufschrift ‘Taggert-Bauunternehmen’ waren, zusammen mit einigen von Taggerts Haaren. Darüber hinaus hatten einige Nachbarn den heftigen Streit beobachtet, der kurz vor dem Mord
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