Tiffany Duo Band 128
ich morgen nicht wieder komme?"
Sie lächelte. Kein exotisches geheimnisvolles Lächeln diesmal, sondern ein offenes strahlendes, das in ihrem Zigeunergesicht auffunkelte. Wie lange war es her, dass eine Frau ihn so angelächelt hatte? Sehr lange ... zu lange ... eine Ewigkeit. Das war die fünf Dollar wert. Das war noch viel; viel mehr wert.
„Vielleicht werde ich das tun", sagte sie weich.
„John", stellte er sich vor. „John Quaid." Er wartete auf eine Veränderung, wartete darauf, dass ihr Lächeln erlosch und ihre Augen sich mit Abscheu und Neugier füllten. Doch nichts geschah, und nun lächelte auch John, zumindest schwach. „Und Sie sind Lady Lucretia."
Sie rümpfte die Nase. „Lucy. Lucretia ist sozusagen mein Künstlername - er klingt eben geheimnisvoller als Lucy."
John betrachtete sie mit einer Mischung aus Neugier und Verwunderung. Diese Frau war so vollkommen anders als alle, die er bisher kennen gelernt hatte. Er musste gegen den Drang ankämpfen, ihre roten vollen Lippen zu küssen. Lucys Blumenkleid schmiegte sich verführerisch an ihren Körper und betonte ihre perfekten Formen. Ihr Lächeln ließ sein Herz fast stillstehen, und ihre Stimme klang heiser und verwirrend wie das schläfrige Flüstern einer verführerischen Frau.
„Und, kommen Sie morgen Abend wieder?" fragte sie, als er sich zum Gehen wandte.
„Vielleicht", murmelte er.
In der Nacht träumte John von der geheimnisvollen Wahrsagerin. Ein langer süßer Traum, der ihn mit einem Lächeln auf den Lippen erwachen ließ. Seltsam, woran der Geist sich klammerte, wenn um einen herum alles zusammenbrach. In den letzten acht Monaten hatte ihn nur sein Hobby, das er zum Beruf gemacht hatte, davor bewahrt, den Ver stand zu verlieren. Das und das Wissen, dass er unschuldig war, egal, was die Leute glaubten. Und dennoch war ihm, als ob die Begegnung mit Lucy seinem Leben eine neue Richtung gegeben hatte. Eine bessere Richtung.
Er trat vor die Tür in die Sonne, um die Zeitung aus dem Briefkasten zu holen. In Alabama schien die Sonne schon am frühen Morgen so kräftig vom Himmel, dass er die Augen zusammenkneifen musste.
Gerade als John die Zeitung aus dem Kasten geholt hatte, rief ihm jemand energisch „Guten Morgen" zu.
Er richtete sich wieder auf und wandte sich zu seinem Nachbarn um. Danny Neil trug den billigen schlecht sitzenden Anzug, mit dem er immer zur Arbeit ging. Was verkaufte er noch gleich? Versicherungen oder so etwas in der Richtung? Danny Neil war auf alle Fälle ein typischer Vertreter.
„Morgen." John bemühte sich, nicht zu feindselig zu klingen. Danny war wie all die anderen in Red Grove nur allzu bereit, das Schlimmste zu glauben. Doch das war es gar nicht mal, was John so an ihm störte; sie kannten sich seit der Grundschule und Danny hatte die Quaid-Brüder noch nie besonders gemocht, was auf Gegenseitigkeit beruhte. Was John hingegen wirklich nervte, war, dass Danny ihm in letzter Zeit immer wieder Angebote für sein Haus machte.
Niemand hatte gerne einen zum Nachbarn, der dreier Morde verdächtig war.
Wenn Danny sich die Mühe machte, ihm einen guten Morgen zu wünschen, hatte das nur einen Zweck: Er wollte ihm wieder ein neues Angebot machen.
Danny trat von seinem akribisch gemähten Rasen auf das Unkraut herüber, das in Johns Garten nur so wucherte. Auch er hielt eine Zeitung in der Hand.
„Hör zu", begann er, „meine Schwester will ein Haus kaufen, und als sie gestern hier war ..."
„Nein." John wandte ihm und seinem Angebot den Rücken zu.
„Du könntest es dir mindestens einmal anhören", sagte Danny verärgert.
John schüttelte den Kopf, als er langsam die Stufen zur Veranda hochstieg.
„Ach übrigens, du stehst schon wieder in der Zeitung!" rief sein Nachbar ihm nach.
John wandte sich um und sah, dass Danny ihm höhnisch mit der Zeitung zuwinkte. Der feine Danny Neil, der die Vorstadtidylle gegen Eindringlinge, schwarze Ritter, Frauenmörder und Leute verteidigte, die kein Unkraut jäteten. Negative Schlagzeilen waren die größte Sünde von allen.
„Es ist eine Fortsetzungsgeschichte über die Morde", fuhr er unerbittlich fort, „und auf der Titelseite ist ein ganz entzückendes Foto von Claire und dir."
Der Schuft lächelte teuflisch - er genoss das Ganze sichtlich.
„Ich glaube, es ist das Hochzeitsfoto", setzte er noch hinzu.
John ließ seine Zeitung achtlos fallen. Er hatte keine Lust, ein altes Foto zu sehen, wie er den Arm um Claire gelegt hatte. Noch weniger Lust
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