Tiffany Duo Band 128
und wischte sich kurz damit über die Jeans, die vom Oberschenkel bis zum Knöchel hoffnungslos durchnässt waren. Er setzte sich auf den Stuhl, der der Wahrsagerin gegenüber stand, und zog seine Schuhe aus, um sie zu trocknen. Seine Socken waren klatschnass. Aus den Augenwinkeln konnte er sehen, dass die Frau ihn mit einem ernsten Lächeln beobachtete.
Der ganze Abend war eine Katastrophe gewesen. Er hätte den Anruf nicht beachten und zu Hause bleiben sollen, mittlerweile müsste er ja an Einsamkeit gewöhnt sein!
Schließlich zog John den feuchten Schuh wieder an und gab Lady Lucretia das Handtuch zurück. Er stand auf.
„Lassen Sie mich Ihnen die Zukunft voraussagen", sagte sie, und ihre warme Stimme klang wie eine Liebkosung. „Lassen Sie mich Ihre Hand lesen. "
Er schüttelte den Kopf. „Ich denke nicht, dass ..."
Sie lächelte ihn an, und ihre Zähne schimmerten weiß gegen den roten Lippenstift. „Kommen Sie schon, heute ist nicht viel los. Es sind fast nur Kinder hier, und denen ist ihre Zukunft noch herzlich egal."
John zögerte, und ihr Lächeln schwand ein wenig. „Vertrauen Sie mir", flüsterte sie mit ihrer rauchigen Stimme, von der er - da war er sich ganz sicher - heute Nacht träumen würde.
Er setzte sich wieder hin und legte seine Hand mit der Handfläche nach oben auf den Tisch. In den Augen der Frau lag etwas, das ihn gehorchen ließ. Außerdem, sagte sich John, was macht es schon, wenn ich einer schönen Frau erlaube, eine Zeit lang meine Hand zu halten?
Lady Lucretia ergriff seine Hand und strich flüchtig über das Handgelenk. Einen Augenblick betrachtete sie seine Handfläche, dann sah sie auf. Ihre Augen schimmerten in einem undurchdringlichen Grün.
„Sie sind unglücklich", sagte sie und wandte ihren Blick wieder seiner Handfläche zu. „lhr Leben ist in Aufruhr."
„Geht das nicht allen mal so?" John bemühte sich um einen gleich gültigen Ton, doch dieser Frau, das hatte er bereits bemerkt, konnte man nicht so leicht etwas vormachen. Lady Lucretia sah ihn mit einem nachdenklichen Blick an, der ihm tief unter die Haut ging.
„Mag sein. Aber Ihres ist schon seit längerem in. Aufruhr." Sie legte den Kopf auf die Seite und sah ihn offen an. „Das ist nicht normal." John hatte genug gehört. Er entzog ihr seine Hand und griff nach seiner Brieftasche. „Und, wie viel kostet mich diese Erkenntnis?" „Das geht auf Kosten des Hauses."
Er öffnete seine Brieftasche und legte eine Fünfdollarnote auf den Tisch. „Das bin ich Ihnen noch schuldig wegen dem Jungen", erklärte er.
Sie schob ihm den Schein wieder zu. „Stecken Sie ihn wieder ein." „Ich kann nicht."
„Der Kleine ist der Sohn des Chefs. Ich habe ihn bezahlt, damit er in Sie hineinläuft", erklärte sie kurz. „Also behalten Sie Ihr Geld."
John hob die Brauen. Er hätte es wissen müssen. Immerhin war er hier auf einem Jahrmarkt, und er war Opfer eines uralten Tricks der Schaustellergemeinde geworden. Auf einem Jahrmarkt passierte nichts. aus Zufall. Dieses Völkchen hatte seine eigenen Gesetze, um den Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen.
Aber warum wollte sie dann seine lausigen fünf Dollar nicht nehmen? Er schaute die Wahrsagerin verwirrt an.
„Ich wollte Ihre Handfläche sehen", erklärte sie auf sein fragendes Gesicht. „Und ich habe Sie zwei Mal höflich gebeten, in mein Zelt zu kommen. Der kleine Trick war sozusagen mein letzter verzweifelter Versuch."
John ließ die fünf Dollar auf dem Tisch liegen und stand auf. „Und, haben Sie gesehen, was Sie sehen wollten? War es das, was Sie erwartet haben?"
Entweder schien sie seinen Sarkasmus nicht zu bemerken oder es war ihr egal, denn als sie sich erhob, lag auf ihrem Gesicht ein zufriedenes Lächeln. Da erst bemerkte John, wie zierlich und klein die Frau war. Er schätzte sie auf knapp einen Meter sechzig. Sie ging ihm gerade mal bis zur Brust.
„Kommen Sie morgen wieder", bat sie mit rauchiger Stimme.
„Ich kann nicht ..."
„Natürlich können Sie", schnitt sie ihm das Wort ab. „Ich werde Sie erwarten." Sie neigte den Kopf, und eine dunkle Haarsträhne fiel ihr über die Wange. „Sie haben mir noch nicht einmal Ihren Namen genannt."
Das sollte er besser auch nicht tun. Vielleicht hatte sie schon von ihm gehört, und wenn er seinen Namen nannte, würden diese schimmernden Augen bestimmt sofort ihren Glanz verlieren. „Warum nur habe ich das Gefühl, dass Sie mich nötigenfalls in der ganzen Stadt ausrufen lassen würden, wenn
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