Tiffany
ich reinkommen?«
»Ich weiß nicht, wo Tiffany ist.«
»Du weißt also, warum ich hier bin?«
»Bestimmt nicht meinetwegen.« Patty ließ mich herein. Ich folgte ihr ins Wohnzimmer mit den Rattanmöbeln, dem hellen Holztisch, den Büchern, der chinesischen Lampe, dem Nippes und den Wandschmuck. Diesmal fiel helles Tageslicht durch das Fenster, das mit cremefarbe nen Gardinen etwa mannshoch vor neugierigen Blicken geschützt war.
»Tiffany sitzt garantiert nicht unter dem Tisch.«
»Ich glaube dir ja«, sagte ich. »Du würdest mich be stimmt nicht anlügen. Wo ist sie?«
»Möchtest du eine Tasse Kaffee? Ich kann dir aller dings nur den koffeinfreien von Hanneke anbieten.«
»Der macht mich zu gutgläubig«, erwiderte ich. »Wann hast du sie zum letzten Mal gesehen?«
»Gestern Nacht, als sie mich hier vor der Tür abgesetzt hat.«
»Hat sie ein Auto?«
»Nein, wir sind mit dem Taxi gefahren.«
Ich setzte mich in den Rattansessel. »Sie ist also gestern hier gewesen. Was wollte sie?«
»Stoff.« Patty blieb stehen.
»Wofür?«
»Ich weiß es wirklich nicht, ich schwör’s dir.«
Ich seufzte. »Patty, alias Tineke, tu mir einen Gefallen. Ihr habt einen Hehler ausgeraubt und von dem Straßendealer Fik dem Fikker gestrecktes Koks gekauft. Beide habt ihr mit einer gestohlenen Waffe bedroht. Meine Ehre als ehemaliger Polizist hätte es eigentlich geboten, dass ich meine Kollegen aus der Herengracht mitbringe.«
Sie erwiderte herausfordernd meinen Blick. »Hier wirst du nichts finden.«
»Ich will doch nur wissen, wofür sie dieses Dreckszeug brauchte.« »Das hat sie mir nicht unter die Nase gerieben.«
»Komm, Patty, ihr zwei seid doch Freundinnen.«
»Ich schwöre es.«
Sie war keine besonders gute Schauspielerin. Vor lauter Lügen hatte sie rote Wangen, und ihre Nasenflügel bebten. Es stand ihr auf ihrer hohen und stocknüchternen Stirn geschrieben. Doch ein Versprechen Tiffany gegenüber wog schwerer als jeder Eid auf die Bibel, den sie mir schwor. Ich konnte es nicht aus ihr herausprügeln. Wenn eine Person schweigen will, dann schweigt sie, und wenn man sich auf den Kopf stellt, es sei denn, man zieht ganz andere Seiten auf.
»Ich mache mir Sorgen um sie«, sagte ich.
»Das brauchst du nicht. Sie ist clean.«
»Aber was will sie dann mit dem vergifteten Koks?«
»Weiß ich nicht.«
Wir drehten uns sinnlos im Kreis. »Weiß sie, dass es Dreckszeug ist?«
»Ich war nicht dabei, als sie es gekauft hat.«
»Wo warst du denn?«
»Im Flur.«
Mir war schon längst klar, dass ich zwar den Ablauf der Geschichte aus ihr herauskriegen konnte, aber nicht die Gründe. »Und die Puppe, wozu sollte die dienen?«
»Als kleiner Scherz.«
»Hanneke hat einen Moment lang geglaubt, sie wäre ein Geschenk für euch beide gewesen«, bemerkte ich gehässig.
Patty entgegnete nichts, aber etwas in ihrem Schweigen bewirkte, dass mein Bedürfnis, sie zu verletzen, schlagartig verschwand. Sie erschrak und trat automatisch einen Schritt zurück, als ich aufstand. Sie sah recht gewöhnlich aus, nackt und grobknochig, ohne das Make-up und die rosafarbene Perücke.
Ich zog das Foto von Theo aus meiner Innentasche und hielt es ihr hin. »Ist das der Mann, zu dem du in den Mercedes gestiegen bist und der behauptet hat, Tiffanys Vater zu sein?«
Patty schaute das Foto an und nickte. »Hat er Fleur ermordet?«
»Vielleicht wird dich die Polizei eines Tages bitten, ihn zu identifizieren«, sagte ich. »Würdest du das tun?«
»Natürlich«, antwortete sie.
Wir standen uns eine Weile lang schweigend gegenüber. Ich schaute mich in diesem Studentinnenzimmer um, und mir wurde klar, dass meine Menschenkenntnis äußerst beschränkt war. Schließlich ging ich missgestimmt hinaus. Sie folgte mir durch den Flur und blieb stehen, als ich die Haustür öffnete. »Wenn Tiffany es kann, warum kannst du es dann nicht?«, fragte ich sie gereizt.
»Ich weiß es nicht«, flüsterte sie.
15
Ich verlieh den belegten Brötchen mit Käse und Schinken, die ich Tags zuvor in Amsterdam gekauft hatte, einen Hauch von Frische, indem ich in Margas Mikrowelle eine Dosis Elektronen durch sie hindurchjagte, und setzte dazu Kaffee für ein spätes Frühstück auf. Nachdem ich in der letzten Nacht hier angekommen war, hatte ich zehn Stunden am Stück geschlafen.
Im Bauernhof war es kalt, draußen aber schien die Sonne. Unter dem Reetvordach, geschützt vor dem scharfen Maiwind, war es angenehmer als drinnen. Die Heizung war ausgeschaltet,
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