Tiffany
wenn man sich durch die Arbeit bei der Kripo noch so sehr daran gewöhnt hat. Man kann Fahrzeuge zählen oder über sich selbst nachdenken. Ich dachte darüber nach, dass ich zwar meist von einem einfachen Leben träumte, in der Realität jedoch fast immer alles eine kompliziertere Wendung nahm, als ich beabsichtigt hatte. Es war, als renne ich auf ein Tor zu und von allen Seiten tauchten Flügelstürmer auf, die mir zwanzig Bälle gleichzeitig zuspielten.
Ich zog den Zettel heraus, den mir Nel in die Brusttasche gesteckt hatte, und griff zu meinem Telefon. Es dauerte eine Weile, bevor jemand abnahm und ein Mann mit zwei asthmatischen Hustenkeuchern seinen Namen nannte.
»Hoogkamp.«
»Guten Tag«, sagte ich. »Sind Sie der Besitzer eines Hausbootes in der Lijnbaansgracht?«
»Ja, ist irgendetwas damit?«
»Nein, nein, wir müssen uns nur mal mit allen Leuten unterhalten, die dort ein Hausboot liegen haben. Ich bin Onno Huisman vom Amt für Öffentliche Ordnung. Könnte ich vielleicht morgen mal kurz bei Ihnen vorbeischauen?«
»Morgen sind wir nicht zu Hause. Wir fahren zu unserem Wohnwagen in der Nähe von Valkenburg. Ein bisschen niederländische Bergluft schnuppern, die tut mir gut.« Er hickste. »Meine Frau packt schon die Koffer.«
Ich sah, wie Nel die Brücke überquerte, die Tasche in der Hand. Sie strahlte fröhlich inmitten der Touristenscharen. Ein Rollschuhläufer kurvte wie eine brünstige Möwe um sie herum. »Passt es vielleicht heute Nachmittag?«, fragte ich hastig.
»Ja, ist mir recht, worum geht es denn?«
Ich ließ Nel keine Sekunde aus den Augen. Außer der brünstigen Möwe schien sich aber niemand besonders für sie zu interessieren, als sie rasch die Uferstraße überquerte. »Nichts, worüber Sie sich Sorgen machen müssten«, sagte ich in den Hörer. »Vielen Dank erst mal.«
Ich legte auf und lehnte mich hinüber, um die Beifahrertür zu öffnen, wobei ich den Seitenspiegel keinen Moment aus den Augen ließ. Ich konnte nichts Verdächtiges erkennen. Nel rutschte auf den Beifahrersitz und zog die Tasche auf ihren Schoß. »Fahr los«, sagte sie.
»Wurde das Schließfach observiert?«, fragte ich.
Sie grinste. »Ich wollte möglichst unauffällig wirken, da konnte ich mich doch nicht auffällig überall umschauen.«
Drei Minuten später parkte ich neben einem Lieferwagen auf dem Nieuwezijds Voorburgwal, in der Nähe der Gasse, in der Nel wohnte. Ich stellte den Motor ab. »Lass uns mal reingucken.«
Nel zog den Koffer aus der Leinentasche und legte ihn auf die Knie. Es war ein hochwertiges Exemplar mit verstärkten Ecken und Scharnieren aus goldfarbenem Metall. Sie versuchte, die Nummernschlösser zu öffnen, ohne an den Rädchen zu drehen, aber es gelang ihr nicht.
»Vielleicht ist gar kein Code eingestellt«, sagte sie und stellte alle Räder auf Null. »Manche Leute machen das so.«
Nicht General Grimshave. Der wählte als Zahlenkombination seinen Geburtstag, seine Dienstnummer oder das Gründungsdatum der NATO, alles Dinge, über die ich nur spekulieren konnte. Ich dachte daran, dass Sohn Joris die Kombination kennen musste, weil er den Koffer sonst gar nicht hätte benutzen können. Doch Joris war in Leiden, und ihn am Telefon danach zu fragen, erschien mir eine ungesunde Idee.
Nel reichte nach dem Türgriff. »In meiner Wohnung kriege ich ihn in Nullkommanichts auf. Komm mit.«
»Der Besitzer von Tiffanys Boot ist nur noch heute Nachmittag zu Hause erreichbar«, erwiderte ich. »Und ich muss auch noch zum Boot, etwas zum Anziehen für Tiffany holen.«
»Das hier ist wichtiger als Tiffany.«
Ich schüttelte den Kopf. »Der Besitzer fährt morgen für einen Monat nach Valkenburg, und wenn ich nicht um halb sechs bei der Keereweer antanze, bin ich meine Krankenschwester los. Ruf mich heute Abend an, wenn du etwas entdeckt hast.«
Sie schaute mich gekränkt an. »Aber um das hier dreht sich doch alles«, sagte sie und klopfte auf den Koffer.
»Er läuft uns aber nicht weg«, erwiderte ich. »Steck den Koffer bloß wieder in die Leinentasche, denn für das Kokain, das da drin ist, würden die Typen in deiner Gasse einen Mord begehen.«
Nel schnaufte verächtlich. »Prioritäten«, murmelte sie, schlug die Beifahrertür zu und verschwand um die Ecke in ihrer Straße.
Hoogkamp wohnte im alten Norden in einer noch ziemlich unverdorbenen, gemütlichen Straße aus der Nachkriegszeit. Vor und hinter den Häusern lagen Gärten, man sah Mütter mit Kinderwagen, Mofas, die an
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