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Tiger Eye

Titel: Tiger Eye Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjorie M. Liu
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Geige und ein Klavier drangen leise aus unsichtbaren Lautsprechern.
    Es war nicht gerade ein Ort, an dem man einen Mörder suchte.
    Verzeih mir, flehte Dela Adam lautlos an. Wenn du unschuldig bist, verzeih mir, dass ich an dir gezweifelt und dich damit konfrontiert habe.
    Falls er jedoch schuldig war...
    Artur hatte Adams Zimmernummer bereits herausgefunden. Sie warteten an den Aufzügen, beklommen und schweigend. Gerade als die Türen aufglitten, ließ sie ihren Blick durch die Lobby schweifen.
    »Delilah?«
    Sie bekam kein Wort heraus, und die beiden Männer folgten ihrem bestürzten Blick. Adam kam gerade aus der Hotellounge. Sein Gesicht war blass, er hatte die Lippen fest zusammengepresst. Sein Haar war grau meliert. Er trug eine dunkle Hose, einen Rollkragenpullover und hatte einen Beutel über die Schulter geschlungen. Sein Gesicht schien vollkommen ausdruckslos, und er bewegte sich mit gemessenen Schritten durch das Foyer. Doch statt zu den Aufzügen ging er zum Ausgang.
    »Mist«, flüsterte sie gequält. »Oh, Mist. Adam, hoffentlich hast du eine gute Erklärung.«
    Sie folgten ihm vorsichtig, bis sie sahen, wie er auf der Straße in ein Taxi stieg. Dann rannten sie zum Ausgang, ungeachtet der befremdeten Blicke von Seiten der anderen Gäste. Der Land Cruiser wartete bereits auf sie. Die Türen standen offen, Blue saß hinter dem Steuer. Er gab Gas, bevor sie ganz eingestiegen waren, und Hari beugte sich weit hinaus, um die Tür zuzuschlagen.
    Sie konnten dem Taxi nur mit Mühe folgen und verloren es schließlich auch aus den Augen, aber Adams Ziel war unverkennbar. Er folgte den vertrauten Straßen in eine sehr bekannte Gegend. Furcht breitete sich in Delas Magen aus.
    »Er fährt zu mir«, sagte sie. Ihre Freunde verzogen die Gesichter zu sehr ähnlichen Grimassen. Hari hatte die Hände im Schoß gefaltet und starrte blicklos aus dem Fenster. Dela hätte ihn gern berührt, wäre am liebsten sogar allein mit ihm gewesen, um die Welt auszuschließen und sich von ihm in den Arm nehmen zu lassen, damit er ihr sagen konnte, dass ihre Freunde keine zwei Gesichter hatten und niemals nachts in Häuser schlichen, um Böses zu tun.
    Natürlich wusste Dela, dass Hari ihr so etwas niemals sagen würde. Dafür war er viel zu ehrlich und hatte auch zu viele finstere Dinge erlebt. Was er wohl von all dem hielt, von ihrem Leben? Er sagte, dass er sie liebte, und sie glaubte ihm, aber er stammte nicht aus ihrer Welt, und sie hatte ihm eine bessere versprochen, eine sicherere. Doch vom ersten Augenblick an, seit sie sich getroffen hatten, waren sie von Gewalt umgeben gewesen, die sie auf Schritt und Tritt verfolgt hatte.
    Die Guten und die Bösen. Sie treten immer gleichzeitig auf, und das Einzige, was einem bleibt, ist weiterzumachen. Immer weiter.
    Aber wenn Hari davon enttäuscht war, wenn er lieber...
    Er drehte sich herum, als spürte er ihre Gedanken, und hielt ihr die Hand hin. Sie ergriff sie, verwundert, wie intim diese einfache Berührung seiner Handfläche an der ihren sein konnte, als lägen ihre Seelen in ihren Fingerspitzen und würden sich durch die Haut aneinander reiben, bis sich die Essenzen ihrer Geister berührten.
    Als Dela seine Hand hielt und ihm in die Augen sah, spürte sie, wie seine Stärke und Liebe sie durchströmten. Dies linderte den Schmerz - und plötzlich fühlte sie sich wieder aufgehoben.
    Sicher.
    Bis sie ihr umgebautes Lagerhaus erreichten und sie hinter den Fenstern im Obergeschoss ein Licht sah.
    *
    Es war eine schwierige Nacht, die ihm fast wie ein ganzes Leben vorkam, und obwohl Hari gern gesagt hätte, dass er schon Schlimmeres erlebt hatte, wären ihm diese Worte nicht über die Lippen gekommen. Sicher, in seinem früheren Leben hatte es Qualen gegeben, unerträgliche Schmerzen, Tage und Nächte von Folterungen, die so schrecklich waren, dass er fast den Verstand verloren hätte. Und Kämpfe, Blut, zertrümmerte Knochen, unaufhörliche Schreie. Doch er war unsterblich, ein Sklave, und weder Schmerz noch Tod hatten sein Herz brechen können.
    Bei Dela war das alles anders.
    Ihr Schmerz, ihre Angst und ihr Leiden schnitten wie Messer in seinen Geist und in sein Wesen. Wenn sie litt, litt auch er. Angesichts ihres Elends fühlte er sich klein und hilflos, und zum ersten Mal seit zweitausend Jahren half ihm seine Stärke nicht weiter. Seine Geschicklichkeit im Umgang mit dem Schwert war plötzlich nichts mehr wert. Dela litt unter seelischem Kummer, und davor konnte sie niemand

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