Tiger Eye

Titel: Tiger Eye Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjorie M. Liu

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Das Handgelenk war leicht geschwollen und bereits dunkel angelaufen. Eine mörderische Wut breitete sich in Haris Bauch aus, und er fühlte sich schuldig, weil er nicht an Delas Seite gewesen war, als sie sich Wen gestellt hatte.
    »Ich werde dir nicht mehr erlauben, so etwas zu tun«, sagte er leise und legte den Eisbeutel wieder auf ihr Handgelenk. Als ihre Augen blitzten, hob er die Hand. »Wenn ich weiter zu deinem Leben gehören soll, Delilah, wirst du in einigen Punkten Kompromisse eingehen müssen. Dies ist einer davon.«
    Sie wollte nein sagen, er sah schon die unwillkürliche Ablehnung auf ihren Lippen, doch er wusste auch, dass er von einem Befehl längst in die Knie gezwungen worden wäre, ein Sklave vor seiner Herrin, wenn Dela eine andere Person gewesen wäre. Aber Dela war nicht wie die anderen, und er bemerkte, wie sich ihre Augen verdunkelten, als sie seine Worte hörte.
    »Also gut«, sagte sie und berührte dann ihr Ohr. »Blue sagt, wenn wir verschwinden wollten, wäre das jetzt der richtige Moment.«
    Sie gingen nicht mehr durch das Restaurant zurück, sondern nahmen die Hintertür, die auf eine schmale Gasse führte, in der es nach Essensresten stank. Sie war zwar nur schwach erleuchtet, aber Haris Augen stellten sich sofort auf die Dunkelheit ein, die ihm ihre Geheimnisse enthüllte.
    »Kommt«, sagte er und nahm Delas Hand. Er führte sie durch die Gasse und blieb kurz dort stehen, wo der unebene Asphalt auf den Bürgersteig traf. Dann warf er einen Blick um die Ecke. Der geschlossene Lieferwagen parkte in der Nähe, es war nichts Verdächtiges zu sehen. Frauen und Männer schlenderten über die Straße, lachend und in Unterhaltungen vertieft.
    Hari gab Dela und Artur ein Zeichen, und sie liefen über den Bürgersteig auf den Van zu. Dela murmelte etwas. Es musste ein Signal an die anderen gewesen sein, denn die Türen des Vans glitten auf, als sie näher kamen. Dean und Blue halfen ihnen herein. Eddie fädelte sich sofort in den Verkehr ein.
    »Also«, begann Dean. »Eines haben wir heute jedenfalls geklärt: Ärgert niemals Dela.«
    »Ha«, murmelte sie finster. »Vielleicht habe ich auch gerade unser aller Todesurteil gesprochen.«
    »Vielleicht auch nicht.« Hari zog sie an sich und fühlte, wie sie fast unmerklich zitterte. »Du hast uns möglicherweise auch Zeit erkauft.«
    »Zeit wofür? Vielleicht wollen sie meinen Tod ja gar nicht, aber was er will, ist fast noch schlimmer. Wir beide sollen für die Mafia arbeiten!«
    »Ich würde ja lachen, wenn es nicht so gruselig wäre«, meinte Dean.
    Artur runzelte die Stirn. »Er hat gesagt, er wüsste, für wen ihr arbeitet, aber das ist unlogisch. Wir sind nicht aufgeflogen.«
    »Wie kannst du dir da so sicher sein?«, fragte Hari. Dela wandte sich in seinen Armen etwas herum.
    »Wegen Roland«, sagte sie. »Er ist eines der stärksten Psi-Talente, das ich jemals getroffen habe. Abgesehen davon, dass er hellsehen kann, kann er auch Gedanken lesen. Er ist ein sehr starker Telepath. Und er hat sich vor langer Zeit einen Trick ausgedacht, eine Art Alarmsystem. Wenn jemand in die Agentur aufgenommen werden soll, dann durchsucht Roland sein Gehirn, natürlich mit Erlaubnis der jeweiligen Person, und knöpft ein Band, eine Verbindung zwischen allen geheimen Informationen der Agentur und dem emotionalen Zentrum des Gehirns. Roland ist ebenfalls ein Teil dieser Verbindung, aber nur oberflächlich. Falls also irgendein Mitglied von Dirk & Steele mit jemandem, der nicht an diese Verbindung angeschlossen ist, über die Agentur spricht, erfährt Roland es sofort. Allerdings erfährt er nur die Emotionen hinter diesem Gespräch: Schuld, Gier, Wut, Hass... das sind die roten Lampen. Ruhigere Gefühle oder gar keine sind sicher, aber dennoch geht Roland jedem derartigen Gespräch nach und analysiert es.«
    »Er hat mich an dem Nachmittag angerufen, als ich Sie und Hari vom Flughafen abholte«, meinte Eddie. »Offenbar habe ich genug gesagt, um die Verbindung auszulösen.«
    »Plappermaul!«, sagte Dean.
    Blue nahm Dela ihre Verkabelung ab. »Und wenn schon? Bedeutet es, dass Zhang nur Vermutungen äußert, oder gibt es noch eine andere Gruppe von Menschen da draußen, die so ist wie wir?«

»Menschen, die jemand wie Wen kennen sollte?« Dela runzelte die Stirn. »Das ist eine sehr unheimliche Vorstellung.«
    »Das reicht«, erklärte Artur. »Ich werde Roland informieren, dann kann er seine eigenen Nachforschungen anstellen. Im Augenblick haben wir nur