Tiger Eye
wir noch einmal darüber reden. Auf dieses Gespräch freute sich Dela nicht sonderlich. Selbstreflexion war nicht gerade ihre Stärke.
Sie schob sich die Handtasche über die Schulter. »Ich werde jetzt losgehen und dir etwas zum Anziehen kaufen. Du wirst dich zwar nicht ganz anpassen können, was auch ganz gut ist, aber ich kann dich wenigstens ins einundzwanzigste Jahrhundert katapultieren.«
Jedenfalls wenn es eine Abteilung von Groß & Kräftig in der Einkaufspassage unter dem Hotel gab. Das war zwar mehr als fraglich, aber Dela glaubte fest an Wunder.
»Du wirst nirgendwo allein hingehen.« Hari stand auf. Dela weigerte sich zurückzuweichen und verrenkte sich fast den Hals, als sie versuchte, Augenkontakt zu bewahren.
»Wie bitte? Seit wann bist du mein Boss?«
Haris Kiefer mahlten. »Es ist zu gefährlich für dich, Delilah. Oder hast du den Anschlag auf dein Leben schon vergessen?«
»Nein, habe ich nicht, aber hier bin ich in der Öffentlichkeit. Da gibt es jede Menge Menschen, Augenzeugen. Außerdem kannst du nicht nur mit einem Handtuch bekleidet herumlaufen. Die Frauen werden spontane Schwangerschaften erleiden. Haarige Männer könnten schlagartig kahl werden, Hunde Kleider tragen und Zigaretten rauchen. Du würdest allgemeines Chaos auslösen.«
Hari verschränkte seine beeindruckenden Arme über seiner ebenso beeindruckenden Brust. »Wenn ich nicht mitgehe«, erklärte er gefährlich leise, »werde ich dir nicht erlauben, diesen Raum zu verlassen.«
Yep, da haben wir unseren Neandertaler.
Dela fiel ein, dass sie ihm in dieser besonderen Situation ja auch einfach befehlen konnte, sie gehen zu lassen. Die Schatulle gab ihr vermutlich diese Macht über seinen Körper. Aber ihr war ebenfalls klar, dass er sie für den Rest seines sehr langen Lebens hassen würde, wenn sie Hari auch nur ein Mal etwas befahl, und das konnte sie nicht ertragen. Niemals.
Außerdem würde sie sich selbst nicht mehr in die Augen sehen können, wenn sie tatsächlich seine Herrin wurde und ihn damit zum Sklaven machte. Einige Verfehlungen konnte man nie verzeihen, wenn sie einmal begangen worden waren.
»Du bist sehr eigensinnig«, erklärte sie. »Aber das bin ich auch. Wir schreiben das einundzwanzigste Jahrhundert, und heutzutage gehen Frauen, wohin sie wollen, ohne sich zuvor die Erlaubnis von Männern einzuholen. Ich werde dieses Hotelzimmer verlassen, Hari, und zwar ohne dich, und du kannst nichts tun, um mich daran zu hindern.«
Ihre Worte zeigten Wirkung - und zwar die, dass Hari ihr das Gegenteil bewies.
Als er sie schließlich wieder auf den Boden setzte und ihre Knöchel losließ, arbeiteten sie einen Kompromiss aus. Hari wollte seine Sandalen, die Lederhose und die leinene Tunika tragen, seine Waffen und seine Rüstung jedoch würde er im Hotelzimmer zurücklassen, unter dem Bett versteckt.
Es gefiel ihm gar nicht, unbewaffnet auszugehen, aber Dela blieb wenigstens in diesem Punkt unerbittlich. Man rannte einfach nicht in der Öffentlichkeit mit einem Schwert und Messern bewaffnet herum, jedenfalls nicht, ohne sich dabei auf Verrücktheit berufen zu können.
Außerdem war dieser Mann allein durch seine Größe, seine Kraft und seine Schnelligkeit Waffe genug. Jede seiner Bewegungen strahlte eine gefährliche Anmut aus, ein uraltes, primitives Element des Raubtieres. Kaninchen würden sich vermutlich auf seinen bloßen Befehl hin augenblicklich selbst die
Haut abziehen. Und ein ganz bestimmter Teil der menschlichen Spezies würde sich wohl auch entkleiden.
Hari zog sich rasch an und wartete an der Tür, während er seine ärmellose Tunika glatt strich. Es war ein grob gestricktes Gewand, blutbefleckt - was hoffentlich für rote Farbe gehalten würde, dachte Dela - und zudem an den Säumen ausgerissen und zerfranst. Aber sie stand ihm, ebenso wie die Lederhose. Vermutlich würden ihn die Leute in der Einkaufspassage für ein supercooles, etwas exzentrisches Supermodel halten.
»Gibt es bestimmte Sitten, von denen ich wissen sollte, bevor wir hinausgehen?« Hari bog seine Finger.
»Bring keinen um und fang keinen Kampf an.«
Er verzog die Lippen, und Dela hob die Hand. »Ich meine es ernst.«
»Natürlich.«
Sie warf ihm einen bösen Blick zu.
Aber sie hatte keine Zeit, über Haris neu entwickelten Sinn für Humor nachzudenken. Sobald sie das Hotelzimmer verließen, strömten die Fragen nur so aus ihm heraus. Er wollte wissen, weshalb es keine Wachen gab, warum sich die Designs immer wiederholten,
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