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Tiger Eye

Titel: Tiger Eye Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjorie M. Liu
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Erfahrung bringen, was sie weiß.«
    Hari wirkte immer noch bestürzt. »Früher einmal haben Menschen tatsächlich... Sie haben die Gehirne anderer Menschen seziert, um an deren Wissen zu kommen. Und zwar am besten, wenn diese Leute noch lebten.«
    »Puh! Das ist einfach... igitt!« Dela erschauerte. Doch obwohl sie angeekelt war, hätte sie ihm gern noch mehr Fragen gestellt, doch seine weißen, zusammengepressten Lippen und die angespannte Haut um seine Augen ließen ihre Neugier sofort schrumpfen. Vielleicht blieb manches besser ungesagt, einige Erinnerungen lieber vergessen.
    »Erzähl mir etwas über die Gestaltwandler«, schlug sie stattdessen vor und hoffte, dass er dabei das Entsetzen vergaß, das ihre Worte heraufbeschworen hatten. »Du sagtest, vor zweitausend Jahren wärt ihr noch sehr zahlreich gewesen?«
    Hari holte tief Luft, seine Miene entspannte sich. »Einige Arten waren zahlreich, ja. Von den Kreaturen des Wassers und der Luft gab es sehr viele, aber die Landbewohner fühlten allmählich den wachsenden Druck der Menschen. Tiger gab es zwar viele, aber wir gaben uns nur selten mit anderen als unserem Familienclan ab.«
    »Seit du das letzte Mal eingesperrt worden bist, ist viel passiert. Selbst gewöhnliche Tiger sind... also, die Tiger in der Wildnis sind beinahe ausgestorben.«
    »Ausgestorben?«
    »Für immer vom Erdboden verschwunden. Es existieren nur noch so wenige Tiger, dass alle, die Gestaltwandler sind, bestimmt die Wälder verlassen haben. Dort sind sie nicht mehr sicher.«
    Hari zweifelte ihre Worte keine Sekunde an. Er sank aufs Bett und starrte mit einem leeren, kalten Blick auf den Boden. Es tat Dela in der Seele weh, einen so lebendigen Mann zu einem solchen Häufchen Elend zusammengefallen zu sehen.
    »Ich kann es mir einfach nicht vorstellen«, flüsterte er. »Wir hatten damals im Wald keine Rivalen. Die Menschen hielten uns für Götter, obwohl wir das niemals wollten. Einen Tiger tötete man einfach nicht.«
    Dela setzte sich neben ihn und widerstand dem Wunsch, seine Hand zu nehmen. »Die Menschen wurden kühner. Aber es muss noch andere geben. Gestaltwandler waren doch gewiss klüger als normale Tiger; sie würden sich nicht so einfach umbringen lassen.« Sie hoffte jedenfalls, dass es sich so verhielt. Seit Hari seinen Clan gesehen hatte, waren beinahe zweitausend Jahre vergangen. In dieser Zeit konnte sich viel ereignet haben. »Würdest du einen Gestaltwandler erkennen, wenn du ihn siehst?«
    »Ja.« Er richtete sich auf. »Es wird in unseren Augen sichtbar, in unserem Blut.«
    »Also gut. Dann machen wir einen Spaziergang und sehen, was wir herausfinden können.«
    Jetzt sah Hari sie an. Es war ein abschätzender, machtvoller Blick. Seine Augen hatten die Farbe von brüniertem Gold, einfach wundervoll. Dela wurde am ganzen Körper heiß, als seine intensive Gegenwart über sie hinwegspülte.
    »Warum hilfst du mir, Delilah? Ich habe schon so lange gelebt, und noch nie hat jemand das für mich getan, was du getan hast.«
    Ihre Wangen wurden heiß. »So viel habe ich gar nicht getan. Ich habe dir etwas zu essen gegeben, dich gebadet und ein bisschen mit dir herumgeschrien. Das heißt, eigentlich habe ich eher viel herumgeschrien...«
    Ein langer, kräftiger Finger legte sich auf ihre Lippen, und sie verstummte augenblicklich. Haris Blick brannte, von Begierde und Neugier. Dela wusste nicht, ob er sie küssen, sie fressen oder mit ihr reden wollte. Vermutlich alles zusammen.
    »Bei dir habe ich mich wieder wie ein Mann gefühlt. Du hast mir die Erinnerungen an die Schönheit des Mitgefühls zurückgegeben. Ich möchte einfach nur wissen, warum du das getan hast. Warum du so freundlich bist. Du behauptest, mein Auftauchen wäre unbegreiflich, aber für mich bist du das Rätsel.«
    Dela wich seiner Berührung aus. »So freundlich bin ich gar nicht. Und ein Rätsel bin ich auch nicht. Ich bin einfach nur... ich.« Eine Frau, die die Einsamkeit einer Menschenmenge vorzog, die Distanz zu Fremden wahrte, zu jedem, der Angst vor ihren Geheimnissen haben könnte. Sie war eine Frau, die aus Waffen Kunstwerke schuf, und aus Kunstwerken Waffen, die sich manchmal so kalt fühlte wie der Stahl, dem sie lauschte -aber niemals leer, nie einsam.
    »Ich habe die Frage schon beantwortet«, erwiderte sie ausweichend. »Ich helfe dir, weil es richtig ist. Reicht das nicht?«
    »Fürs Erste.« Dela hörte das Versprechen in seiner Stimme.
    Fürs Erste genügt es, aber später... später werden

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