Tiger Eye
einundzwanzigsten Jahrhundert. Er trug eine Bluejeans, ein weißes Anzughemd mit aufgerollten Ärmeln, und Dela schleppte in den Papiertüten noch mehr Variationen derselben Garderobe herum. Glatte, lange Muskeln bewegten sich lautlos unter dem Stoff seiner neuen Kleidung. Wenn es überhaupt möglich war, dann sah Hari jetzt noch attraktiver aus als zuvor.
Doch er war sehr schweigsam, als sie durch die Einkaufspassage zum Hotel zurückgingen. Dela, die sich nun sicher fühlte, stieß ihm ihren Finger zwischen die Rippen. Hari zuckte zusammen und starrte sie mit leiser Empörung an.
»Mach ich dir denn nie Angst?«
Dela hob die Brauen. »Ich glaube, diese Diskussion hatten wir bereits.«
Hari murmelte etwas Unverständliches. Dela, die sich immer noch kühn fühlte, zupfte an seinem Ärmel. »Was ist los?«
Tiefstes Schweigen antwortete auf ihre Frage. Schließlich ließ sich Hari zu einer Erwiderung herab. »Ich bin seit mehr als zweitausend Jahren ein Sklave gewesen, Delilah. Viel von dieser Zeit habe ich zwar schlafend verbracht, aber die Stunden, in denen ich wach war, haben genügt. Ich habe gelernt, um nichts zu bitten, und man hat mir auch nichts gegeben.« Er hielt inne und schüttelte den Kopf. »Ich habe schon gedacht, du wärst extravagant, als du sagtest, ich bräuchte neue Kleider. Essen und Unterkunft, mehr benötige ich nicht. Mehr habe ich mir von meinen Meistern auch nie gewünscht.«
»Außer etwas Freundlichkeit«, setzte Dela hinzu.
Er sah sie ernst an. »Schon vor langer Zeit habe ich aufgehört, mir Freundlichkeit zu wünschen, Dela. Nach dem Unmöglichen zu suchen wurde allmählich zu schmerzhaft.«
Er riss seinen Blick von ihrem Gesicht los. »Ich habe mich geirrt«, sagte er leise. Einen Moment dachte Dela, er meinte etwas anderes. Doch dann fuhr er fort: »Hier draußen, unter all diesen Menschen, begreife ich, dass ich mich doch geirrt habe. Du hattest recht. Ich... passe hier nicht hin. Andererseits habe ich das nie getan. Trotzdem, diese Welt hat sich stärker verändert, als ich es jemals für möglich gehalten hätte, und ich kenne meinen Platz darin nicht. Ich bin vollkommen von dir abhängig, mehr als je von irgendeinem meiner Meister zuvor. Das bereitet mir Unbehagen. Ich weiß nicht, wie ich dir das zurückzahlen soll.«
Dela blieb stehen und baute sich unmittelbar vor Hari auf, so dicht, dass ihr Nacken schmerzte, als sie ihn ansah. Er war schlicht und einfach großartig, ein Berg aus Muskeln und Knochen. Auch seine neue Kleidung konnte die atemberaubende Gestalt nicht vergessen machen, die glänzende, braune Haut, seine Augen. Passanten starrten sie an, aber Dela achtete nicht darauf. Ihre gesamte Aufmerksamkeit galt Hari.
»Ich will keine Bezahlung, und du sollst dich auch nicht von meiner Gnade abhängig fühlen. Hör mal zu, Hari - ich werde dir alles beibringen, was du zu wissen brauchst, um in dieser Welt überleben zu können. In der Zwischenzeit musst du es einfach ertragen, wenn ich dir so extravagante Geschenke wie Kleidung und Essen mache.« Delas Stimme klang schärfer, als sie es beabsichtigt hatte, und mit einem Seufzen bat sie Hari, sie zu verstehen.
»Schluck deinen Stolz herunter, Hari. Ich hab genug Geld für uns beide. Mach dir lieber Sorgen darum, wie du zurechtkommen willst, nachdem wir deinen Fluch aufgehoben haben.«
Es war fast komisch, seine Verwirrung und Verlegenheit zu beobachten. »Wie kannst du dir deines Erfolges so sicher sein?«
»Weil die Alternative undenkbar ist«, erklärte sie schlicht und aufrichtig.
Er wollte etwas erwidern, das sah sie an seinen Lippen und in seinen Augen, aber in diesem Augenblick lenkte eine Bewegung links neben ihm Dela ab. Sie sah hin, ihr Magen verkrampfte sich, und ihr Blick brannte. Ihre Hand schmerzte, als sie sich erinnerte.
Vollkommenes Gesicht, frisiertes Haar, elegante Kleidung. Aber kein Lächeln, diesmal nicht.
Dela bemerkte kaum, wie Hari sich umdrehte und ihrem Blick folgte. Sie hörte, wie die Papiertüten zu Boden fielen. Und wie er ein Geräusch ausstieß, ein schreckliches, ersticktes Keuchen. Ihr Instinkt sagte ihr, dass hier wohl der Tod angekommen sein musste.
Die Zeit schien langsamer zu vergehen. Sie war in Glas gefangen, klar und fest.
»Magier!«, knurrte Hari.
4
Unmöglich! Es ist doch völlig unmöglich, dass dies der Magier ist.
Es war nicht logisch. Vollkommen unlogisch. Aber noch während Dela dem Fremden in die Augen starrte, fühlte sie eine Berührung wie von kühlen
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