Tiger Eye
und was es mit diesen hohen Häusern auf sich hatte, in einem von denen sie sich befanden, wie er wusste. Die Fragen nahmen kein Ende.
Technologie faszinierte ihn. Hari hatte Dela bereits nach Elektrizität und sanitären Installationen ausgefragt, aber seine Reaktion auf den Aufzug erinnerte an einen gestrandeten Alkoholiker, der auf einer verlassenen Insel einen Whiskyvorrat findet. Es war pure, beinah kindliche Freude. Was nicht heißen sollte, dass Hari sonderlich lebhaft gewesen wäre; es war der Ausdruck in seinen Augen, die strahlten und hin und her zuckten, der Klang seiner tiefen Stimme, seine geballten Fäuste, all das erzählte eine Geschichte von tiefer Neugier und Aufregung.
Das und mehr, jedenfalls bis sich die Aufzugtüren vor Haris Nase schlossen und sich seine Miene zu einer ausdruckslosen Maske verwandelte. Das war erschreckend: zwei Meter zehn Männlichkeit, die absolut regungslos dastanden, ohne auch nur Luft zu holen. Vielleicht konnte er ja auch gar nicht atmen. Auf seiner Stirn bildete sich ein leichter Schweißfilm.
Beunruhigt berührte Dela Haris Hand. Er leidet unter Platzangst, dachte sie, als sie das leise Beben in seinem Arm spürte. Sanft drückte sie seine Finger, dann glitten die Türen auf. Hari trat mit einem langen Schritt heraus und zerrte Dela einfach hinter sich her. Dann weitete sich seine Brust, als er tief ein-und hörbar wieder ausatmete.
»Hari?«, fragte Dela zögernd.
Er blinzelte, und als er sie ansah, zeichnete sich Überraschung auf seinem Gesicht ab. Er blickte auf ihre verschränkten Hände und schwieg einen Moment. »Danke«, sagte er dann leise.
Dela nickte und ließ ihn wieder los.
Die Wände der Lobby bestanden aus Marmor mit goldenen eingravierten Buchstaben und enormen Säulen, die sich mit würdevoller Eleganz vom Boden bis zu der hohen Decke erstreckten. In dem riesigen Raum verteilten sich Ledersessel und Sofas, die in kleinen intimen Gruppen arrangiert und von Kübeln umgeben waren, in denen Pflanzen mit großen Blättern standen, um eine Illusion von Privatsphäre zu erzeugen. Hotelangestellte servierten Tees und kleine Snacks und huschten von einer Insel zur anderen, gekleidet in ihre enganliegenden Chi-Paos, die an der Seite hohe Schlitze hatten.
Dela und Hari schritten zügig durch die Lobby, hinterließen in ihrem Kielwasser erstaunte Blicke und abrupt unterbrochene Gespräche. Dela hob ihr Kinn und bemühte sich um Haltung. Was nicht so schwierig war mit einem Mann wie Hari an ihrer Seite. Es war eine leibhaftige Mischung aus Ich-bin-viel-zu-sexy und Mein-Mein-Mein.
Du bist albern, ermahnte sich Dela streng, aber sie konnte einfach nicht anders. Wann war sie jemals in Begleitung eines derartig aufregenden Mannes ausgegangen? Was machte es da schon, wenn Hari ihr nicht wirklich gehörte? Andererseits, wenn sie es genau nahm, dann gehörte er ihr ja... gewissermaßen. Auf die Ich-bin-mit-dir-zusammen-bis-du-stirbst-Weise. Dieser magische Voodoo, der sie miteinander verband, war jedenfalls dauerhafter als die meisten Ehen.
Trotzdem, die intensiv musternden Blicke ließen ihre Haut prickeln. Sie rieb sich die Arme.
»Ist dir kalt?«
Es wäre sicher einfacher gewesen, die Frage zu bejahen, aber sie war ehrlich. »Mir ist Anonymität lieber. Es macht mich immer ein bisschen nervös, wenn ich im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehe.«
Hari lächelte neugierig. »Passiert das häufig?«
Dela zuckte die Achseln. »Manchmal. In gewissen Kreisen bin ich eine recht bekannte Künstlerin.«
Hari sah sich in der vor Marmor schimmernden Lobby um und sog die unverhüllte Aufmerksamkeit der Leute auf, die sie anstarrten.
»Ich habe mich früher auch einmal so gefühlt wie du«, sagte er dann. »Es hat mich viele Jahre gekostet, bis ich mich daran gewöhnt hatte, etwas Besonderes zu sein, ein Preis, den man besitzen musste. Mittlerweile habe ich mich mit diesem Gaffen abgefunden.«
»Das klingt so, als hätte man dich wie ein Stück Fleisch behandelt.«
Hari stieß ein leises Stöhnen aus. »Ich habe zwar noch nie gehört, dass es jemand so beschrieben hätte, aber ja, in gewisser Weise stimmt es. Gehendes, redendes, kämpfendes... Fleisch.«
Fleisch. Das war alles, was er für diese Menschen gewesen war. Dela wurde bei dem Gedanken fast übel, aber sie schluckte ihren Ekel herunter, als sie in die höhlenartige Einkaufspassage unter dem Hotel hinabfuhren. Sie war zwar nicht so groß wie die im Oriental Plaza, das mehr im Stadtkern lag, aber Dela hatte
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