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Tiger Eye

Titel: Tiger Eye Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjorie M. Liu
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streckte seine langen, eleganten braunen Hände aus, deren Finger jedoch zu Klauen gekrümmt waren. »Das wirst du ohnehin versuchen, Hari. Aber nicht heute, vor so vielen Fremden. Nicht, wo noch so viel zu erledigen ist. Nein, nein. Deine Herrin hat vollkommen recht. Heute werden wir reden, du und ich.«
    Dela sah sich um. Niemand schien sich für das Thema ihres Gesprächs zu interessieren, wenngleich sie mehrere ältere Chinesen, die an der Glasbrüstung standen, aufmerksam beobachteten und miteinander flüsterten.
    Schöne Unterhaltung, nicht wahr? Jedenfalls solange niemand jemandem ein Auge aussticht oder mit Eingeweiden Tauziehen spielt.
    »Reden?« Hari verzog verächtlich die Lippen. »Was hätten wir uns schon zu sagen? Du hast deinen Schwur gebrochen, meine Schwester und ihr ungeborenes Kind ermordet und mich dazu verurteilt, eine Ewigkeit als Sklave zu dienen.« Er bog den Kopf zurück, und sein Hals zuckte krampfhaft, als er ein ersticktes Keuchen ausstieß. »Du bist ein Narr, dich überhaupt zu zeigen. Aber noch mehr zu erwarten? Das ist geisteskrank!«
    Der Magier kam näher. Es war beunruhigend, ihn zu beobachten, seine entspannten Schultern, sein gelassenes Grinsen. Doch seine Augen verrieten ihn. Sie waren wie kaltes Glas, scharf, hell und vollkommen furchtlos. Selbst mit Hari neben sich fühlte sich Dela unter diesem Blick isoliert, verletzlich. Sie war diesem Mann schon einmal entkommen, aber als sie jetzt in sein Gesicht blickte, fragte sie sich, ob sie nicht einfach Glück gehabt hatte, weil nur das Überraschungsmoment ihre Rettung gewesen war.
    Dela durchsuchte mit ihrem Verstand seinen Körper, suchte nach Stahl oder Metall. Sie fand aber nichts. Er war zwar vollkommen unbewaffnet, das machte ihn jedoch nicht weniger gefährlich. Sie erinnerte sich an seine Kraft, seine unmenschliche Wut. An die hohle Leere seines Blickes. Er flößte ihr Angst ein, und sie traute ihm nicht, kein bisschen.
    »Ich habe nach dir gesucht, Hari«, sagte der Magier leise. »Fast zweitausend Jahre lang bin ich auf der Welt umhergewandelt und habe gehofft, dir Folgendes sagen zu können: Es tut mir leid. Damals war ich ein anderer Mann. Die Zeit hat mich gelehrt, dass meine Wege falsche Wege waren.«
    Für jeden anderen hätten seine Worte vielleicht so aufrichtig geklungen wie die des Dalai Lama, aber Dela spürte seine Lüge wie einen fauligen Geschmack im Mund.
    »Quatsch!«, stieß sie wütend hervor. Sie spürte, wie Hari sich neben ihr bewegte, weigerte sich jedoch, ihn anzusehen, sondern starrte nur herausfordernd in die Furcht einflößenden Augen des Mannes. »Warum sind Sie wirklich hier?«
    Er verstellte sich nicht mehr länger. Die höfliche Maske verpuffte wie ein lästiger Nebel. Es war eine entsetzliche und erschreckende Verwandlung. »Können Sie meine Gedanken nicht lesen?« Er tippte sich an die Stirn und grinste tückisch.
    »Sprich nicht mit ihm«, warnte Hari sie. »Verrat ihm deinen Namen nicht, und sieh ihm nicht zu lange in die Augen. Alles, was du ihm gibst, wird er gegen dich verwenden. Er versteht es meisterhaft, Menschen zu manipulieren.«
    Der Magier legte eine Hand auf sein Herz. »Ich bin ein Überlebender, Hari, genau wie du. Unsere Methoden mögen sich unterscheiden, aber am Ende sind wir beide Tiere. Tiere, die vom Instinkt kontrolliert werden, von Begierden und...«, er sah Dela an, »von Lust.«
    Haris Muskeln traten hervor, Dela drückte erneut hastig seine Hand. Das Grinsen des Magiers wurde breiter, und er sagte etwas in einer musikalischen Sprache zu Hari, das Dela nicht verstand. Hari versteifte sich und stieß einen Schwall unverständlicher Worte aus.
    »Oh, er mag Sie«, erklärte der Magier und richtete seinen kalten Blick auf Dela. »Außerordentlich interessant.«
    Hari schob Dela schützend hinter sich. Sie wollte protestieren, aber ein Blick in sein Gesicht genügte, und die Worte erstarben ihr auf der Zunge. Diesmal war es Hari, der Delas Hand beruhigend drückte, sanft und kurz, aber dennoch beruhigend.
    »Sag, was du zu sagen hast«, stieß Hari rau hervor. »Ich bin dieses Spieles müde. Ich könnte dich ebenso gut ignorieren, wie ich dich bekämpfen kann.«
    »Du warst schon immer ein schrecklich schlechter Lügner.« Der Magier legte den Kopf auf die Seite. »Uns verbindet eine viel zu lange Geschichte, Hari. Mit zu viel vergossenem Blut und erlittenen Schmerzen. Wir beide sind Teile einer der Tragödien, aus denen Mythen entstehen, aneinandergefesselt bis zu

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