Tiger Eye
gezuckt, oder ihr Atemrhythmus hatte sich verändert; jedenfalls regte sich Hari und rollte sich behutsam von ihr herunter. Dela nahm seine Hand, drehte den Kopf jedoch nicht zu ihm herum. Stattdessen verschränkte sie ihre Finger mit den seinen und zog ihn an sich, bis er ihren Rücken wieder wie ein Löffel umhüllte. Sein Atem strich warm über ihren Nacken. Sie seufzte.
»Geht es dir gut?«, fragte er leise. Seine tiefe Stimme ließ seine Brust an ihrem Rücken vibrieren.
»Besser«, erwiderte sie. »Ich bin noch nie ohnmächtig geworden.«
»Der Magier hat dich seine Macht spüren lassen. Ich glaube, du hast ihn wütend gemacht. Außerdem warst du eine ausgezeichnete Ablenkung.«
Dela erinnerte sich flüchtig an Haris Qualen und unterdrückte einen Schauer des Bedauerns. »Du hättest ihn verfolgen können.«
»Nein«, sagte er. »Ich konnte dich nicht verlassen.«
»Wegen des Fluchs.«
»Nein«, widersprach er. »Deinetwegen.«
Sie seufzte wieder und kuschelte sich enger an seinen warmen Körper. »Was ist passiert, nachdem ich das Bewusstsein verloren habe?«
»Ich habe dich hergebracht. Du warst zwar bewusstlos, hast aber am ganzen Körper gezittert. Die Decken schienen dich nicht richtig zu wärmen, also habe ich meinen eigenen Leib benutzt. Ich hoffe, es stört dich nicht.«
»Nein«, sagte sie. Oh nein, von Stören konnte da wirklich keine Rede sein! »Bist du ganz sicher, dass es der Magier war, nach all den vielen Jahren?«
»Ja.« Hari erstarrte, als er das Wort aussprach. Dela spannte sich an.
»Es tut mir leid«, sagte sie. »Es tut mir leid, dass er noch lebt, dass du ihn sehen musstest und... es tut mir auch leid, dass ich dich aufgehalten habe. Es muss sehr grausam für dich gewesen sein.«
Haris Brust hob und senkte sich mit seinen Atemzügen an ihrem Rücken. »Ja, Delilah. Zuerst wirkte es grausam. Ich wollte nur eines: ihm mit bloßen Händen die Kehle herausreißen. Ich wollte ihn auflecken. Seinen Tod schmecken. Das ist ein sehr alter Traum.«
Er seufzte, und es klang müde, uralt und gereizt. »Aber du hattest recht. Es war weder der richtige Zeitpunkt noch der angemessene Ort für meine Rache.« Dela fühlte, wie er den Kopf schüttelte und hörte sein leises Lachen, in dem eine bittere Überraschung mitschwang. »Du bist... bemerkenswert, Delilah. Du hast es tatsächlich geschafft, dass ich auf die Stimme der Vernunft hörte. Vernunft, und das inmitten einer echten Blutrunst. Ich weiß nicht, was du dir dabei gedacht hast. Niemand stellt sich zwischen einen Tiger und seine Beute.«
»Manchmal ist Ignoranz ein Segen.«
Diesmal klang sein leises Lachen wärmer, liebevoller. Dela fühlte, wie es sie vom Scheitel bis zur Sohle durchströmte. Sie sog das Geräusch in sich ein, und mit ihm eine Erinnerung, die in seinem Unterton auch mitschwang.
»Der Magier«, sagte sie gedehnt, während sie sich zu erinnern suchte, nun die Paradoxa, die in ihr nagten, zusammenzusetzen. »Warum hat er seine Macht auf dem Dreckmarkt nicht gegen mich eingesetzt? Warum hat er nicht versucht, die alte Frau zu zwingen, ihm die Schatulle zu verkaufen? Wenn er wirklich so mächtig ist, warum hat er sich da zurückgehalten, vor allem, wenn es um etwas so Wichtiges ging?«
»Er hat dich trotzdem verletzt«, erklärte Hari. »Aber du hast recht. Trotz des Schadens, den er verursachen kann, scheint seine Macht abgenommen zu haben. Oder aber er hat gelernt, vorsichtig zu sein.«
Dela erschauerte, als sie sich an das Gefühl dieser scharfen Klauen in ihren Eingeweiden erinnerte. »Vorsicht, vielleicht. Aber wenn seine Kräfte wirklich schwächer geworden sind, möchte ich sie nicht erlebt haben, als sie ihm noch voll und ganz zur Verfügung standen.«
Hari schloss seine Arme fester um sie. »Du musst etwas begreifen, Delilah. Als ich dem Magier das erste Mal begegnete, war er so mächtig, dass er allein mit seinen Fäusten die Luft zum Brennen bringen konnte. Wenn er sich darauf konzentrierte, seine Macht zu beherrschen, konnte er seine Hände nicht auf Holz oder Stoff legen, ohne das Material in Brand zu setzen. Aus ebendiesem Grund lebte er in einer Höhle und schlief nackt auf einem aus Stein gemeißelten Bett.«
»Raffiniert«, murmelte sie und erinnerte sich an die Hitze seiner Haut, als der Magier sie berührt hatte. Als sie schließlich begriff, stieß sie ein leises Keuchen aus. »Warte...! Hat er deine Brust auf diese Weise verbrannt? Hat er dich mit bloßen Händen so verletzt?«
»Ja.«
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