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Tiger Eye

Titel: Tiger Eye Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjorie M. Liu
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Haris Arme verkrampften sich kurz. »Seine Finger waren das einzige Werkzeug, das er benötigte.«
    »Vielleicht hätte ich dich doch nicht aufhalten sollen.«
    »Doch. Ein guter Jäger bestimmt die Zeit und den Ort selbst. Ich werde eine weitere Chance bekommen, jetzt, da ich weiß, dass er mich zurückhaben will.« In seiner Stimme schwang ein beinahe ruhiger Ekel mit, ein leises Zittern von Hass und Verwirrung.
    Jetzt, da ich weiß, dass er mich zurückhaben will.
    »Aber weshalb will er dich?«, fragte Dela. »Das ergibt doch keinen Sinn, nicht nach all den Jahren. Es tut mir leid, Hari, aber man sollte eigentlich annehmen, dass er dich mittlerweile vergessen haben sollte.« Ach ja? Und was, bitte, weißt du von psychopathischen Zauberern? Nichts, null, niente. Du bist so ahnungslos wie ein neugeborenes Baby.
    »Das weiß ich nicht, Delilah. Es war schon schrecklich genug, erfahren zu müssen, dass er überlebt hat. Dass er mein Herr werden will, ist... unerträglich.«
    Unerträglich? Also wirklich! Die Idee, dass dieser furchtbare Mann mit den kalten Augen das Leben irgendeiner Person in Händen halten könnte, flößte Dela eine fast panische Furcht ein. Sie wäre am liebsten davor weggelaufen oder hätte ihm den ganzen Vesuv auf den Kopf geworfen.
    »Wie hat er uns gefunden?«, fragte sie schließlich. »Ich bin sicher, dass er mir nicht ins Hotel gefolgt ist, und meinen Namen kannte er auch nicht.«
    Sie fühlte, wie Hari die Achseln zuckte, als wollte er sagen: »Magie.« Aber Dela war noch nicht bereit, diesen Erfolg des Magiers einfach seiner Zauberkraft zuzuschreiben. Jeder, der eine so miese Anmache brauchte, um eine Frau zu entführen, musste verrückt sein.
    »Sei dankbar, dass er deinen Namen nicht kennt«, meinte Hari. »Ich habe sorgsam darauf geachtet, ihn in seiner Gegenwart nicht zu benutzen. Dein Name hätte ihm Macht über dich gegeben.«
    »Wie?«
    »Vertrautheit. Wenn du den richtigen Namen einer Person weißt, öffnet er dir einen Spalt in ihr Leben, in ihren Verstand. Dein Name ist zwar nicht das, was du bist, aber so wirst du genannt, und wenn man ihn kennt, besitzt man ein sehr tiefes Wissen über dich.«
    »Du hast mir deinen Namen genannt«, sagte Dela.
    »Du warst die erste Person seit sehr langer Zeit, die danach gefragt hat.«
    Sie spürte zwar, dass dies nicht die ganze Geschichte war, aber sie wollte nicht nachhaken, weil sie auch nicht wusste, ob sie für die Antworten überhaupt schon bereit war.
    Ihre Hand fühlte sich in seinem lockeren Griff winzig an. Sie zog ihre Finger heraus, streichelte die eleganten Knochen seines Handgelenks und beobachtete das Schattenspiel auf seiner Haut. Es kam ihr zwar seltsam unwirklich vor, dass Hari sie festhielt, aber es gefiel ihr doch zu sehr, als dass sie von ihm weggerückt wäre. Vielleicht lag es an der Intensität ihrer gemeinsamen Erlebnisse, an ihrem Ausflug in seinen Verstand; ihr früheres Zögern fiel jedenfalls allmählich von ihr ab. Sie wollte ihn berühren und von ihm berührt werden. Sein Körper verlieh ihr Sicherheit und ein vertrautes Gefühl des Geborgenseins.
    »Er hat dich eine Drude genannt«, brach Hari nach einigen Minuten schließlich das behagliche Schweigen. Seine Lippen berührten Delas Ohr. Sie erschauerte wohlig. »Ich habe deine Macht ebenfalls gespürt.«
    Ihr Wohlbehagen wich Beklommenheit. Es war wohl naiv gewesen zu hoffen, er würde es vergessen.
    »Ich nehme an, dass der Magier auch so eine Art Hexer ist?«, wollte sie wissen.
    Hari nickte ernst.
    »Es ist sehr kompliziert«, warnte sie ihn, nach wie vor zögernd. Natürlich war Hari seinen eigenen Worten zufolge ein Gestaltwandler, der die letzten zweitausend Jahre als Sklave in einer Schatulle verbracht hatte. Vermutlich konnte er mit komplizierten Dingen umgehen. Wahrscheinlich sogar mit allem.
    »Wenn du nicht darüber sprechen möchtest...«
    Doch das war nicht möglich. Wenn Hari und sie wirklich den Rest ihres Lebens miteinander verbringen sollten, dann musste er die Wahrheit erfahren.
    »Das ist nicht der Grund«, sagte sie. »Was ich da tue, liegt bei uns in der Familie, aber es ist keine Magie. Jedenfalls bin ich nicht so magisch wie du.«
    »Ich nehme an, das kommt auf den Blickwinkel an«, erwiderte Hari, und Dela fragte sich kurz, ob er nicht vielleicht recht hatte.
    »Die einfache Erklärung lautet, dass ich - wir - bestimmte Dinge mit unserem Verstand tun können. Mein Bruder zum Beispiel vermag Gedanken zu lesen. Wenn andere Personen

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