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Tiger Eye

Titel: Tiger Eye Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjorie M. Liu
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war er sogar unbeabsichtigt. Es hat mich viel Zeit gekostet, bis ich es endlich begriff. Meine Meister haben es glücklicherweise nie verstanden. Sie glaubten wohl, dass meine Fähigkeit zu dienen nur an eine Person gebunden war, und die Schatulle wurde entweder verschenkt, gestohlen oder verkauft, und dann begann der Kreislauf erneut. Vorausgesetzt, der neue Besitzer machte sich überhaupt die Mühe, die Schatulle zu öffnen.«
    »Verkauft und gekauft«, murmelte Dela. Als Hari die Stirn runzelte, fuhr sie fort: »Das hat die alte Frau zu mir gesagt. Sie wollte mich die Schatulle nicht einmal berühren lassen, bevor ich ihr das Geld gegeben hatte.«
    Hari schnalzte mit der Zunge. »Also wusste sie, was sie da verkaufte.«
    »Und der Magier ebenfalls. Ich frage mich, wie lange er dort gewartet und versucht hat, sie dazu zu bringen, dich an ihn zu verkaufen.«
    »Mich überrascht, dass sie mich nicht für sich selbst behalten hat.«
    Dela schnaubte. »Du hast wohl gedacht, jeder begehrt deinen Körper, hm?«
    »Das taten die meisten«, erwiderte er. Dela lachte und schlug ihn leicht auf die Brust. Hari drückte sie an sich und küsste sie auf die Wange.
    Ein Knoten löste sich in Delas Magen, eine warme Woge von Behagen durchströmte sie, aber sie hatte noch eine letzte Frage: »Wirst du mir jemals vertrauen?«
    Haris Lächeln erlosch.
    »Ich vertraue dir«, erwiderte er feierlich. »Mein Herz ist
    zwar einmal zu viel gebrochen worden, aber ich bin bereit, es erneut zu versuchen - und zu vertrauen.«
    »Danke«, flüsterte sie. »Denn wir beide stecken zusammen in dieser Sache.«
    »Das ist gut«, meinte er. »Ich bin des Alleinseins müde.«
    Das Klingeln des Telefons erschreckte Dela. Hari zuckte ebenfalls überrascht zusammen, und Dela strich ihm rasch über den Arm. »Das ist schon okay«, versicherte sie ihm, obwohl sie das eigentlich nicht so fand. Sie wollte nicht ans Telefon gehen. Sie hätte lieber so getan, als existiere die Welt da draußen gar nicht, als könnte ihnen nichts etwas anhaben, so dass sie weiter aneinandergeschmiegt liegen bleiben könnten, um zu reden, sich zu küssen und ihr neu gewonnenes Vertrauen auszudrücken.
    Dela nahm das Telefon. Es war ihr Bruder Max.
    »Ich habe gehört, jemand versucht, dich umzubringen.« Maschinengewehrfeuer untermalte seine Worte.
    »Das könnte ich dich auch fragen«, erwiderte sie und zuckte zusammen, als ganz in seiner Nähe ein Mann schrie. »Ist das ein guter Augenblick für ein Telefonat?«
    »Der einzige. Danach wird es etwas schwierig. Ich wollte dich nur wissen lassen, dass ich in etwa einer Woche nach Hause komme. Versuch, bis dahin am Leben zu bleiben.«
    »Kümmer du dich lieber um dich selbst. Ich kann einfach nicht glauben, dass du dich zu diesem Team-Projekt hast beschwatzen lassen.«
    »Mir geht’s gut. Das heißt, oha, ich muss los. Alles Liebe...«
    Klick.
    Dela starrte den Hörer an. Was für eine nette, normale Familie. Sie legte den Hörer auf die Gabel und rollte sich in Haris Arme zurück. Und was für ein Tag!
    »Mein Bruder«, erklärte sie ihm.
    »Ist er eine Art Soldat?«, erkundigte sich Hari. »Ich habe Kampflärm gehört.«
    »Du hast ein ausgezeichnetes Gehör. Nein, er ist kein Soldat, aber er versteht es zu kämpfen.«
    Das einzige Licht in dem Raum kam aus dem Badezimmer und tauchte Haris markantes Gesicht in Schatten. Er schloss die Augen, und Dela fühlte sich bei diesem Anblick an eine große Katze erinnert, die über Katzenbelange nachdachte. Sie beobachtete ihn eine Weile, voller Ehrfurcht vor den merkwürdigen Launen des Schicksals, und es gelang ihr einen kurzen Augenblick lang, jeden Gedanken an Gefahr und Verrat und Magie zu vergessen.
    Dann knurrte ihr Magen, und Hari schlug ein Auge auf.
    »Entschuldige«, sagte Dela verlegen. »Ich glaube, ich habe Hunger.«
    »Wir sollten essen. Geht es dir gut genug, um dich aufzurichten?«
    »Ehrlich gesagt, ich habe ganz vergessen, dass ich verletzt worden bin.« Dela grinste, und Hari lächelte sie auf eine Art an, bei der sie eine Gänsehaut bekam.
    Er half ihr, sich aufzurichten, indem er einen Arm um ihre Schultern schlang. Sie brauchte sich fast gar nicht anzustrengen. Er suchte in ihrem Gesicht nach irgendwelchen Anzeichen von Unbehagen. Dela atmete tief durch, aber ihre Rippen und ihr Bauch schmerzten nicht. Doch da gab es noch die Erinnerung von scharfen Klauen in ihrem Körper, die gegen ihre Knochen stießen und ihr Fleisch zerfetzten. Sie hielt den Atem

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