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Tiger Eye

Titel: Tiger Eye Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjorie M. Liu
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erklärte ihm begeistert ihre Welt.
    Aber einige Dinge konnte man einfach nicht verdrängen.
    »Mir ist immer noch nicht wohl bei unserem Spaziergang«, erklärte Hari Dela zum - wie sie glaubte - bestimmt hundertsten Mal. Er beobachtete aus zusammengekniffenen Augen alle Menschen in ihrer Nähe. »Es ist hier nicht sicher, Delilah. Es gibt zwei Gruppen von Menschen, die dir etwas antun wollen.«
    »Danke, dass du mich daran erinnerst«, maulte Dela, obwohl sie selbst, nachdem sie das Hotel verlassen hatten, jeden, der ihnen nah kam, nach Spuren von Metall absuchte, nach allem, was sich nach einer Pistole oder einem Messer anfühlte. Es war ermüdend, sich so vielen Menschen zu öffnen. Sie spürte, dass sie von der Anstrengung Kopfschmerzen bekam, als Ringe und
    Armbanduhren in ihrem Verstand tratschten und ein goldener Ehering eine besonders unappetitliche Geschichte erzählte, in der Gurken und Schlagsahne eine große Rolle spielten.
    Knapp eine Meile vom Hotel entfernt führte Dela Hari zu einem Restaurant in einer gut erleuchteten Gasse, das sie am Anfang der Woche entdeckt hatte. Die Küche, die gleich neben dem Eingang lag, war winzig, kaum größer als ein Schrank, mit gläsernen Wänden. Jeder Gast konnte so den hektischen Koch betrachten, einen schlanken Mann, der von dampfenden Kochtöpfen und fettigen Pfannen umgeben war, und dessen zierliche Hände wie blasse Messer blitzten.
    Fast alle Plätze waren belegt, aber Dela und Hari fanden einen Tisch in der letzten Ecke unter einer klappernden Klimaanlage. Dem Gestaltwandler gelang es, seinen Körper in einen Stuhl zu falten, der viel zu klein war, selbst nach Delas Maßstäben. Hari erinnerte sie an einen Elefanten, oder besser, an einen Tiger, der auf einem Barhocker kauerte.
    Trotz des Lärms, den die Gäste machten, und der von den klappernden Töpfen und dem klirrenden Geschirr herrührte, unterhielten sich Hari und Dela über das Essen. Hari zögerte zunächst, welches Gericht er wählen sollte, und das nicht nur, weil ihm die Speisen unbekannt waren. Dela kam es so vor, als hätte sich sein Staunen darüber, dass er währenddessen nicht absichtlich Hunger leiden musste, noch nicht ganz gelegt.
    Schließlich einigten sie sich auf gedämpfte Klöße, die mit Shrimps, Tofu und Schweinefleisch gefüllt waren. Als die picklige Kellnerin davonschlurfte, bemerkte Dela, dass Hari alle Gäste des Restaurants beobachtete. Er saß mit dem Gesicht zum Eingang, den Rücken an die fettverspritzte, rissige Wand gelehnt. Als sie versuchte, ihren Stuhl etwas zu verschieben, um die Küche am Eingang sehen zu können, drehte er sich herum und schob sie dadurch dichter an die Wand. In diesem Augenblick wurde ihr klar, dass er sie abschirmte.
    »Ich möchte nicht, dass du verletzt wirst, weil du mich beschützt«, erklärte sie.
    Hari hob eine Braue. »Wenn das wirklich stimmte, wären wir nicht ausgegangen.«
    »Autsch«, sagte sie. Hari hob eine Hand.
    »Ich habe dich beleidigt, aber das war nicht meine Absicht. Einfach ausgedrückt, Delilah, ich kann nicht sterben. Du schon. Folglich ist es nur logisch von dir, anzunehmen, dass ich dich mit meinem Körper beschütze.«
    Dela starrte ihn bestürzt an. Sie wollte protestieren, ihm ihre Empörung zeigen. Vorher aber dachte sie genau über seine Worte nach. War sie wirklich so egoistisch gewesen, so selbstsüchtig? Hatte sie Haris Wunsch, sie zu beschützen, einfach als selbstverständlich hingenommen?
    Die Antwort lautete ja, in beiden Punkten.
    »Es tut mir leid«, flüsterte sie beschämt. Sie konnte ihm kaum in die Augen sehen.
    »Mir tut es aber nicht leid«, erwiderte Hari. Seine Stimme war so sanft und fest wie sein Blick. »Du vertraust auf mich, dein Leben zu beschützen, und dieses Vertrauen ist ein Geschenk. Verstehst du das nicht, Delilah? Du setzt Vertrauen in mich. Es ist dir gar nicht erst in den Sinn gekommen, mich zu fragen, ob ich dazu bereit wäre, du hast einfach darauf vertraut, dass ich auf dich aufpassen würde.«
    »Trotzdem fühle ich mich jetzt nicht besser, Hari. Ich habe dein Vertrauen missbraucht. Du leidest genauso wie jeder andere unter Schmerzen, und ich will nicht, dass du verletzt wirst. Das habe ich dir versprochen, und jetzt habe ich mein Versprechen gebrochen.«
    »Du hast nichts gebrochen«, widersprach er. »Schmerz ist unbedeutend, verglichen mit der Alternative.« Als sie protestieren wollte, brachte er sie zum Schweigen, indem er seinen Finger sanft auf ihre Lippen legte. »Nein,

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