Tiger Eye
warst?«
»Überallhin.« Sein Blick richtete sich in die Ferne, als er sich erinnerte. »Manchmal habe ich benachbarte Clans besucht, was ich häufiger tat, als ich älter wurde und eine Partnerin suchte. Aber ich bin auch oft allein gereist und habe die Welt erforscht. Ich bin an Orte gegangen, die noch keines Menschen Fuß berührt hatte.«
Dela stellte sich Hari als Tiger vor, schnittig und wild, wie er verborgene Welten unter dem Baldachin seiner Waldheimat erforschte und nur aus reiner Neugier reiste. Neugier und vielleicht auch Freude an seiner Fähigkeit, es einfach zu tun.
»Das klingt wundervoll.« Sie seufzte und nahm dann ihren ganzen Mut für die nächste Frage zusammen, eine, die sie einfach stellen musste, und die sie schon seit Stunden beschäftigte. »Hast du... ich meine, hast du jemand Besonderen zurückgelassen? Ich meine eine... Partnerin?«
Hari schüttelte den Kopf. »Ich habe nie eine Partnerin gefunden, die zu mir passte. Kurz bevor meine Schwester ermordetwurde, hatte ich überlegt, weiter nach Süden zu den großen
Dschungeln zu reisen, um dort vielleicht andere Clans zu finden.«
»Ich nehme an, es hätte deine Gefangenschaft noch verschlimmert, wenn du jemanden gefunden hättest.«
»Ja«, gab er zu und bannte sie mit seinem Blick auf ihren Platz, ebenso fest, als hätte er sie mit den Händen gepackt. »Gestaltwandler paaren sich fürs Leben.«
»Oh«, stieß Dela schwach hervor. Sie wusste nicht, welche Enthüllung dafür verantwortlich war, dass es in ihrem Magen plötzlich kribbelte. Sie hätte ihn gern gefragt, ob seine Vorlieben seiner eigenen Spezies galten, aber damit wäre sie zu weit gegangen. Es wäre verrückt, wahnsinnig. Außerdem - waren seine Küsse nicht Antwort genug? Und warum war das auf einmal so wichtig? Idiot! Sie gingen zum ersten Mal aus, und sie verlor schon den Verstand! Aber nein, das stimmte nicht. Sie hatte ihn bereits in dem Moment verloren, als Hari in ihrem Hotelzimmer aufgetaucht war. Wenn sie sich das nächste Mal einredete, bestimmte Möglichkeiten zu akzeptieren, musste sie sich daran erinnern, nicht gleich mit allem einverstanden zu sein.
Hari schluckte, als wollte er noch etwas sagen, doch plötzlich erstarrte er. Er hob das Kinn, ließ seinen Blick über die Tische gleiten und sog prüfend die Luft ein. Dann neigte er den Kopf, und die Muskeln seiner Schultern und seines Halses bewegten sich, flüssig und anmutig. Dela konnte den Tiger in seinen Augen erkennen, sein exotisches Gesicht, und es gelang ihr nicht, den Blick von ihm loszureißen.
»Was ist los?«
»Ich dachte, ich hätte einen anderen gewittert, jemanden wie mich. Einen Gestaltwandler.« Er sprach leise und gepresst.
»Einen Gestaltwandler?« Dela stand auf. »Dann sollten wir nachsehen.«
Das taten sie auch, aber nicht lange. Hari nahm die Witterung von etwas Wildem, Bekanntem auf, aber die Spur, die in einem engen Kreis um das Hotel führte, verlief am Ende eines Serviceweges im Sande.
Hari starrte die Wand am Ende des betonierten Weges an. Es gab nur einen Weg: dort hinauf.
»Flügel?«, fragte Dela. Hari nickte, sichtlich enttäuscht.
Sie kehrten in ihr Zimmer zurück.
Das Telefon klingelte, als Dela die Tür öffnete, und sie lief rasch hin, während sie hoffte, dass nicht eine drohende Stimme am anderen Ende war, die ihr zuflüsterte: Ich werde dich umbringen!
Es war jedoch nur Adam, und er hörte sich fast so beklommen an, wie sie sich fühlte. Dela warf einen Blick auf die Uhr. An der Westküste der Vereinigten Staaten war es jetzt früher Morgen.
»Tut mir leid, dass ich Sie anrufen muss, Dela, aber in meinem Haus steht ein Mann. Er sagt, er soll auf mich aufpassen. Er will mir nicht erklären, warum. Und gehen will er auch nicht. Als ich ihm gedroht habe, ich würde die Polizei rufen, hat er mich aufgefordert, Sie anzurufen.«
Dela seufzte. Hari beobachtete ihr Gesicht, während er erfolglos versuchte, sein Hemd aufzuknöpfen. Stirnrunzelnd zog er es sich schließlich über den Knopf, wobei er mehrere Knöpfe abriss.
Was soll’s? Ich muss ihm ohnehin neue Kleidung kaufen.
Dela ertappte sich dabei, wie sie Haris Körper anstarrte, und schüttelte den Kopf, um ihre lüsternen Spinnweben daraus zu vertreiben. »Adam, ich habe jemanden gebeten, auf Sie aufzupassen. Ich erhalte gerade einige... Drohungen, und ich wollte sichergehen, dass es Ihnen gut geht.«
»Drohungen?« Er klang bestürzt. »Was für Drohungen?«
»Machen Sie sich keine Sorgen. Ist dieser
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