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Tiger Eye

Titel: Tiger Eye Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjorie M. Liu
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heraufbeschwor. Wenn es ein Akt des Trotzes gewesen war, dass sie spazieren und essen gegangen waren, dann war dies hier ebenfalls einer. Dela würde nicht zulassen, dass der Magier oder irgendjemand sonst ihr Leben durch seinen Terror beherrschte.
    In dem Coffee-Shop saßen junge Ausländer und Einheimische, die alle versuchten, supercool zu wirken, während sie ihre Milchkaffees schlürften. Aus den Lautsprechern drang leise klassische Musik. Dela bestellte einen Mango-Frappuccino. Hari hatte verständlicherweise keine Vorlieben, deshalb bestellte sie ihm einen Kakao. Dabei dachte sie an Katzen, Milch und dergleichen.
    Ihr Getränk kam in einem klaren Plastikbecher, auf dessen Oberfläche sich Niederschlag gebildet hatte. Die Flüssigkeit war goldfarben, dicke Eiswürfel schwammen darin. Wunderbar. Sie schloss die Lippen um den Strohhalm, nachdem sie einen kleinen Tisch in einer Ecke gefunden hatten, wo sie mit dem Rücken zur Wand sitzen konnten. Dela durchsuchte den Raum mental nach Waffen. Sie fand zwar nichts, blieb jedoch wachsam, falls sie doch noch etwas aufspürte, das ein Messer oder eine Pistole hätte sein können.
    Geh wieder in dein Zimmer zurück, sagte sie sich. Nimm die Drinks und geh. Es ist sicherer.
    Aber nein. Dela mochte dumm und egoistisch sein, weil sie unbedingt hier draußen bleiben wollte, aber wenn sie jetzt anfing, wegzulaufen und sich zu verstecken, was war sie dann noch? Nur eine andere Art von Opfer, das sich vor Angst duckte.
    Hari nippte vorsichtig an seiner heißen Schokolade.
    »Und?«, fragte sie. Er schüttelte den Kopf und lächelte.
    »Es ist sehr gut.« Er trank noch etwas, während er die murmelnden Gäste beobachtete. Dela tippte mit ihrem Becher müßig auf den Tisch, und Hari blickte sie fragend an.
    »Den Magier kann ich verstehen«, erklärte sie ihre Gedanken. »Aber warum sollte mir sonst noch jemand nach dem Leben trachten? Ich habe auch keine Ahnung, wie sie mich aufgespürt haben...« Sie runzelte die Stirn, während sie scharf nachdachte. »Irgendwie müssen sie meine Reisepläne in die Finger bekommen haben... aber nein, das ist unlogisch. Ich habe nichts aufgeschrieben, und die einzigen Leute, die wissen, wo ich bin, sind Adam, meine Eltern und mein Bruder.«
    »Adam?«
    »Er ist mein Assistent. Er leitet meine Galerie und setzt sich mit meinen Lieferanten in Verbindung, erledigt alles, wofür ich keine Zeit habe. Er stammt aus China. Adam ist vor etwa fünf Jahren nach Amerika ausgewandert. Ich war eine seiner ersten Arbeitgeberinnen.«
    »Vertraust du ihm?«
    »Vollkommen. Dieser verrückte Messerstecher hat mich niemals durch ihn oder meine Eltern gefunden. Was bedeutet, dass sie entweder meine Kreditkartenbewegungen aufgezeichnet oder eine Kontaktperson in der chinesischen Regierung haben, jemanden, der die Nummer meines Reisepasses bis zu dem Hotel zurückverfolgen konnte, in dem ich abgestiegen bin.« Dela griff in ihre Tasche, holte ihren kleinen blauen Reisepass heraus und zeigte ihn Hari. »So etwas lasse ich gerade für dich herstellen. Das ist die einzige Möglichkeit, wie du ungehindert zwischen den Ländern umherreisen kannst. In China ist das besonders wichtig. Wenn du in einem solchen Hotel absteigen willst wie dem, in dem wir gerade wohnen, musst du dich eintragen und ihnen die Nummer deines Reisepasses geben.«
    »Wenn zu meiner Zeit jemand reisen wollte, musste er sich nur um Banditen, Hunger und Seuchen kümmern.«
    »Entzückend. Mir persönlich ist der Papierkram lieber, wenn es dir nichts ausmacht.«
    Hari neigte den Kopf. »Für uns Gestaltwandler war das nicht so schwierig. Als Tiger konnte ich große Entfernungen zurücklegen, und es gab immer genug zu essen. Und niemand wollte mir je ein Leid antun.«
    »Ich frage mich, warum.« Dela runzelte die Stirn. »Wie hast du deine Waffen und Kleider mitgenommen, wenn du deine Gestalt verändert hast?«
    Hari lächelte. »Kleider sind typisch menschlich, Delilah. Gestaltwandler haben nur wenig Verwendung dafür. Was meine Waffen betraf, erst nach meinen ersten Rufen habe ich Waffen und auch Kleidung erworben. Damals konnte ich meine Gestalt nicht mehr verändern, sondern musste lernen, nur als Mensch zu leben.«
    Aha. Plötzlich verstand sie auch Haris gelassenen Umgang mit seiner Nacktheit.
    »Gut«, sagte sie schließlich, nachdem sie sich eine Weile vorgestellt hatte, wie ein nackter Hari durch den Dschungel lief. »Wohin bist du denn gereist, als du noch ein Gestaltwandler

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