Tiger Eye
ausstreckte und sein farbiges Haar berührte.
Hari hob den Blick, und das Mädchen lächelte. Es war ein so süßes, unschuldiges Lächeln, dass Dela gleich einen Kloß im Hals hatte. Hari erwiderte dieses Lächeln, und es schien überall zu sein. Auf seinen Lippen, in seinen Augen, selbst in der Hand, die er ausstreckte, als er dem Kind einen leichten Nasenstüber mit dem Finger gab.
Das kleine Mädchen quietschte vor Lachen und zog heftiger an Haris Haaren. Seine klebrigen Finger gruben sich in die kupfernen, honigfarbenen und schwarzen Strähnen. Er ließ das Kind damit spielen, seine Miene blieb vollkommen weich, sein Blick offen. Er wirkte besonders sanft. Gefühle wallten in Dela hoch, und sie spürte, wie ihr die Augen brannten.
»Woher kommst du?«, fragte das Kind auf Chinesisch. »Die anderen glauben, du bist nicht echt.«
Hari sah Dela an und verzog spöttisch den Mund. Sie brauchte einen Moment, bis ihr wieder einfiel, dass ihm der Fluch erlaubte, alle Sprachen zu verstehen.
»Ich komme aus dem Wald und den Bergen«, erwiderte er in perfektem Mandarin. »Und wenn deine Freunde nicht glauben, dass ich echt bin, dann sind sie herzlich eingeladen, ebenso mutig zu sein wie du und es selbst herauszufinden.«
Das Mädchen rümpfte voller Entzücken die Nase, und im nächsten Augenblick hingen Haris Bewunderer wie Kletten an ihm, zogen an seinen Haaren und versuchten, an seinen Armen und seinem Rücken hochzuklettern. Er spielte dieses Spiel mit anmutiger Gelassenheit mit und richtete sich zu seiner vollen Größe auf, während sich die Kinder an seine Schultern und die ausgestreckten Arme klammerten und vor Vergnügen kreischten. Dann schwang er sie in einem weiten Kreis herum wie ein menschliches Karussell. Dela konnte ihren Blick kaum von ihm losreißen, während er ihr heiße, verspielte Blicke zuwarf, bei denen ihr fast das Herz in der Brust zersprang.
Mit Mühe gelang es ihr, ihren Blick von ihm zu lösen und die Menschenmenge zu betrachten, die sich allmählich um sie sammelte. Um Hari und die Kinder hatte sich bereits eine recht große Gruppe von Schaulustigen gebildet, aber hinter ihnen, auf dem Markt, waren die Buden für den morgendlichen Ansturm der Touristen und einheimischen Käufer beinahe fertig. Die alte Frau war gewiss längst eingetroffen.
Dela sah zu Hari zurück und zögerte. Er amüsierte sich so prächtig damit, Affenfelsen zu spielen, dass es ihr fast wie ein Verbrechen vorkam, ihn dabei zu stören. Es waren doch gewiss genug Menschen auf dem Markt, die den Magier oder ihren Mörder daran hindern würden, etwas gegen sie zu unternehmen. In der Nacht zuvor war ja ebenfalls nichts passiert, und hier befanden sie sich an einem viel öffentlicheren Platz.
Wenn du dir das oft genug einredest, glaubst du es irgendwann bestimmt. Vielleicht gerade rechtzeitig, bevor du erschossen, erstochen oder im Geist verstümmelt wirst.
Trotzdem, es kam ihr so gemein vor, Hari bei seinem Spiel zu unterbrechen. Es war so ein kleines Vergnügen, mit Kindern zu spielen, aber sie spürte, wie er ihr Lachen genoss, die Freiheit, einen Augenblick unschuldigen Spiels zu erleben. Kein Blutvergießen durchmachen zu müssen, keinen Krieg, keinen Schmerz.
Sie hätte ihn fast allein gelassen. Ein bisschen Gefahr schien ein so kleiner Preis für Freude zu sein.
Vielleicht hatte Hari ihre Gedanken gelesen. Er sah sie an, und ein ernster Ausdruck färbte seinen Blick, obwohl er nach wie vor lächelte. Er sagte etwas zu den Kindern, die sofort von seinem Rücken und seinen Armen hüpften wie kleine, dunkeläugige Cherubim, die aus einem Baum fielen. Als das letzte Kind sicher stand, winkte ihnen Hari zum Abschied zu und trat zu Dela. Sein Lächeln erlosch.
»Du hast überlegt, ohne mich weiterzugehen«, erklärte er. In seinem ernsten Blick lag eine Spur Enttäuschung.
Dela kam sich plötzlich sehr klein vor und geriet ziemlich aus der Fassung. »Du hast dich so sehr mit den Kindern amüsiert, das wollte ich dir nicht verderben.«
Haris Miene verfinsterte sich. »Deine Sicherheit ist alles, was für mich zählt, Delilah. Wenn dir etwas geschieht, dann...«
»Ich weiß, ich weiß.« Sie hob die Hände und senkte den Blick. Ihr Herz schmerzte vor Scham, aber darunter lag noch ein tieferes Gefühl. »Wenn ich sterbe, musst du wieder in die Schatulle zurück. Es tut mir leid, Hari.«
»Delilah!«, fuhr er sie scharf an. »Die Schatulle kümmert mich nicht.«
Seine Stimme durchdrang sie vibrierend, und Dela
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