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Tiger Eye

Titel: Tiger Eye Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjorie M. Liu
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ab, am äußersten Rand des Marktes. Durch eine Lücke in dem Aluminiumzaun sahen sie eine Straße und darauf den dichten, morgendlichen Verkehr.
    »Bist du verletzt?«, stieß Hari barsch hervor. Das Rumpeln seiner Stimme kam aus seiner Brust und drang ihr durch die Haut bis in die Knochen. Er sah sich um und fuhr dann rasch mit den Händen über ihren Körper, ihr Gesicht. Sanft bog er ihren Kopf zur Seite, sah ihren Hals und zischte. Dela berührte die brennende Stelle auf ihrer Haut, aber als sie die Finger zurückzog, war kein Blut daran. Es war nur eine Strieme.
    »Ich bin nicht verletzt«, erklärte sie und drückte ihre Wange in seine schwielige Handfläche. »Du?«
    Sie las die Antwort in seinem Blick, befreite sich aus seiner Umarmung und untersuchte seinen Rücken. Sein Hemd war blutverschmiert, und der Griff eines kleinen Messers ragte knapp unter seinem Schulterblatt heraus. Dela sog die Luft scharf ein.
    »Zieh es heraus«, befahl Hari. »Schnell, bevor es jemandem auffällt.«
    Dela sah sich um. Der Ort, an den Hari sie gebracht hatte, war recht geschützt, aber das würde nicht lange dauern. Hinter dem entlegensten Rand des Steingartens konnte sie das Gewühl auf dem Markt sehen und hörte aufgeregte Stimmen, die immer lauter wurden.
    Dela biss die Zähne zusammen, packte das Wurfmesser fest am Griff und riss es aus Haris Rücken. Er knurrte nur, mehr nicht. Dela zog ihre leichte Baumwolljacke aus und drückte sie gegen die Wunde, aus der zähes Blut quoll. Er hatte noch eine andere Verletzung, deren Ränder zerfetzt waren, aber dort hatte die Blutung bereits aufgehört.
    Dela warf einen angewiderten Blick auf das Messer. Es war keine ihrer Waffen. Der Griff war sehr schlank und bestand aus blankem Stahl, in den fünf kleine Löcher eingestanzt waren. Es war eine verbreitete Marke, zu gewöhnlich, um zurückverfolgt werden zu können. So ähnlich wie ein Blitz.
    Tod durch das Messer. Der Stahl flüsterte ihr zu, aber es war ein recht neues Messer. Sein Besitzer hatte noch keine Spuren darin hinterlassen.
    »Die Spur ist erloschen«, hörte Dela Hari flüstern, und als sie sich zu ihm herumdrehte, schwindelte ihr beim Anblick der Furcht in seinen Augen. »Deshalb bin ich zurückgekommen, um dich zu suchen. Ich kam zu spät. Ich sah den Mann und konnte mich nicht schnell genug bewegen. Ich dachte, du würdest direkt vor meinen Augen ermordet.«
    Es fiel ihr schwer zu sprechen, aber wenigstens ein zittriges Lächeln bekam sie zustande. »Du würdest mich also vermissen, hm?«
    Hari holte tief Luft, drückte seine Lippen gegen ihre Stirn und hielt ihr Gesicht in seinen großen, warmen Händen. »Ich glaube, es wäre sehr schwer, eine andere Freundin... jemanden wie dich zu finden, Delilah.«
    Dela legte ihre Hand auf seine und küsste seine Handfläche. »Ich würde dich auch vermissen, Hari.«
    Sie merkte, dass sie das blutige Messer noch in der Hand hielt, wickelte es rasch in ihre ruinierte Jacke und schob beides in ihre Schultertasche. Entsorgen würde sie die Dinge später. Dann betrachtete sie erneut Haris Rücken. Die beiden Wunden bluteten nicht mehr, aber sein Hemd war zerfetzt und blutig.
    »Wir müssen hier weg.« Sie warf einen Blick zwischen den Statuen hindurch zum Markt. Einige Einheimische sahen in ihre Richtung, und Dela hörte bereits Sirenen. Niemand in Peking nahm die Polizei sonderlich ernst, aber die Soldaten machten alle nervös. Doch wo die einen waren, ließen die anderen nicht lange auf sich warten.
    »Zieh dein Hemd aus«, befahl sie. »Und warte hier. Bitte, Hari. Ich bin sofort wieder zurück.«
    »Diesen Fehler habe ich vorhin schon einmal gemacht, Delilah. Wir gehen zusammen.«
    »Nein. Du bist vollkommen blutverschmiert, und es haben zu viele Leute gesehen, wie du dieses Messer geworfen hast.« Sie legte ihre Hand auf seine Schulter und spürte, wie seine Wärme ihr Kraft spendete. »Gestern Abend hast du gesagt, dass du auf mich aufpassen würdest, und das hast du getan. Jetzt lass mich dasselbe tun, Hari. Erlaub mir, mich um dich zu kümmern.«
    »Das wird dein Tod sein«, erwiderte er.
    »Nicht heute.« Sie trat einen Schritt zurück. Er blieb stehen, die Hände fest an die Schenkel gedrückt.
    Du bist viel zu wagemutig!, sagte sich Dela. Aber welche Wahl hatte sie schon? Sie kannte die Gefahr. Natürlich konnte da noch ein Attentäter auf sie lauern, in der Menge, aber wenn sie sich von Furcht beherrschen ließ, wäre das Spiel bald für immer vorbei.
    Ein Mädchen muss

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