Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger
aus dem Sandwich-Laden mich immer so seltsam anguckt. Ich gehe ständig da hin. Ich bin ein guter Kunde. Egal, es geht darum, dass sich die Leute darüber den Mund zerreißen. Sie sollte nicht mehr so oft zu dem Haus gehen. Vielleicht sollte sie diese Familie irgendwann ganz aus ihrem Leben streichen.«
»Das sind wirklich ihre einzigen Freunde, Louie.«
»Ich weiß. Wenn das nicht so wäre, hätte ich ihr längst verboten, ständig dahin zu laufen. Ich dachte, es wäre nur eine Phase, sie würde da herauswachsen. Stattdessen ist es zu einer Obsession geworden.«
»Tja, was hat sie denn sonst?«
»Ich begreife es einfach nicht. Was ist an denen so toll? Das verfallene Haus ist doch kein Ponyhof. Was kann ein Mädchen in ihrem Alter da bloß die ganze Zeit tun? Klar ist er nett, der Alte, aber er kann doch nicht gesund für sie sein. Worüber reden sie auf diesen Spaziergängen? Wahrscheinlich trauert er um sein Leben vor dem Unfall, vor der Scheidung. Solches Gerede kann ein junges Mädchen nur belasten. Was soll sie überhaupt daraus lernen? Und auch wenn dieser Mann nicht ganz gesund und robust ist – was geht in seinem Kopf vor? Sie ist jetzt älter. Eher eine Frau als ein Kind.«
»Was genau willst du damit sagen?«
Poppa lachte. »Auf gar keinen Fall kann ein junges Mädchen Gefühle für einen so gebrechlichen Kerl hegen. Das wäre anormal. Aber dass der Alte Gefühle für sie hat, die er sorgfältig versteckt, das ist schon möglich.«
»Davon kann nicht die Rede sein. Das Ganze ist lieb und unschuldig.«
»Okay, okay.« Poppa hob kapitulierend die Hände und arbeitete an den Ohrringen weiter. »Ich glaube dir. Ich möchte nicht mehr über dieses Thema sprechen. Es macht mich krank. Letztendlich bist du die Mutter. Sorg dafür, dass sie nicht so oft zu dem Haus geht.«
»Daran kann ich nichts ändern. Du weißt, dass ich sie zu nichts zwingen kann. Das musst du tun.«
»Ich?« Poppa legte die Ohrringe auf den Tisch und nahm seine Lupe ab. »Ich habe keine Macht über sie.«
»Ich genauso wenig. Sie hat meine Uhr kaputtgemacht. Sie hat sie gegen die Wand geworfen, und das Glas ist zerbrochen. Ich weiß nicht mal mehr, um was es bei dem Streit ging«, entgegnete Mommy.
»Manchmal habe ich Angst, dass sie das ganze Haus abreißt mit mir darin! Ich habe schon solche Filme gesehen! Es gibt Kinder, die ihre eigenen Eltern umbringen! Sie dreht durch, schreit herum, macht Sachen kaputt. Ich kann kaum noch mit ihr sprechen. Wir reden keine zwei Sätze mehr miteinander. Am Wochenende sagt sie mir nicht mal Guten Morgen.«
»Warum sagst du es nicht zuerst zu ihr?«
»Sie ist nicht zu bändigen. Sie will, dass ich ihr mehr Geld gebe. Damit sie noch mehr für Pizza und Hamburger mit diesem Mann ausgeben kann! Sie kann zum Essen nach Hause kommen und die gesunden Sachen essen, die ich für sie koche.«
»Ich glaube, sie essen in Läden wie El Pollo Supremo und El Unico . Das ist nicht ungesund.«
»Ich kann mir das nicht leisten!«
»Louie, sag du ihr doch Guten Morgen. Einer von euch muss den ersten Schritt tun. Und wenn sie wieder Geburtstag hat, dann gratulier ihr auch.«
»Mir hat sie dieses Jahr auch nicht gratuliert! Ich hatte Geburtstag, und sie hat nichts gesagt. Weihnachten hat sie auch nichts gesagt. Ich hab ihr eine Halskette geschenkt, selbstgemacht, die mit dem goldenen Kreuz und dem Diamanten in der Mitte. Sie hat sich nicht mal bedankt.«
»Sie trägt sie aber.«
»Sie hatte nicht ein Wort des Dankes. Ich müsste sie ›das Gespenst‹ nennen, denn genau so geistert sie hier herum.«
»Nun, auf jeden Fall wird sie sterben, wenn du versuchst, sie von Peter zu trennen. Sie wird einfach sterben. Sie wird nichts mehr essen; das weiß ich. Vielleicht läuft sie auch weg. Diese Familie ist alles, was sie hat.«
»Sie bewegt sich hier im Haus wie ein Gespenst, aber wenn sie mal was sagt, schreit sie herum. Spaziert hier durch, als würde ihr alles gehören. Lässt ihre Cornflakes-Schale stehen, damit ich sie abräume. Als wäre ich ihr Diener oder so. Lässt ihre Bücher und Hefte auf dem Tisch herumliegen. Ich sage ihr, sie soll aufräumen, sonst würde ich es für sie tun. Dann schreit sie mich an: ›Rühr meine Sachen nicht an, lass die Sachen in Ruhe!‹ Ich habe ihr nichts getan. Sie ist nicht mehr zu bändigen. Völlig wild.«
***
Nachdem ich Peter von dem belauschten Gespräch erzählt hatte, kamen wir überein, dass wir besondere Vorsichtsmaßnahmen ergreifen mussten, wo man uns
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