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Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger

Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger

Titel: Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaux Fragoso
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eine graue Schnauze bekommen hatte, war immer froh, mit Peter Pause machen zu können, während ich ungeduldig wartete. Die Treppe war für Pendler gedacht, die zur Fähre wollten, doch für uns war sie das Portal zu einem abgelegenen Winkel im Wald, wo man uns weder sehen noch hören konnte. Wenn niemand in der Nähe war, der lauschen konnte, fielen meine Erfindungen so verdorben aus wie nur möglich (im Gegensatz zu unserem Sexleben drehte sich »Die Geschichte« nie um Peters Fantasien; sie handelte zum größten Teil von Nina und ihren Erlebnissen). Deshalb lohnten sich der beschwerliche Gang hinunter und der ebenso anstrengende Rückweg: eine lange, umständliche Tour durch Weehawken. Wenn wir nach Hause kamen, rieb ich Peters Rücken oft mit Babyöl ein, oder er legte sich auf ein Wärmekissen, während ich ihm etwas vorlas. »Mommy, kümmerst du dich um mich?«, scherzte Peter dann. Ich genoss das Gefühl, dass er mich brauchte. Wenn ich nicht wäre, wer würde ihm dann den Rücken eincremen? Wer würde ihm stundenlang vorlesen wie ich, bis meine Stimme heiser wurde und er in meiner Armbeuge einschlief? Wer würde zu El Unico gehen und Essen holen, wenn Peter zu starke Schmerzen hatte, um sein Zimmer zu verlassen?
    Der Oralsex und die Massagen gehörten in meinen Augen einfach zu Peters Betreuung. Oft machte er Witze, er sei wie der Blechmann aus dem Zauberer von Oz , der als Schmiermittel Liebe und Zuneigung bräuchte – was mich anging, so bekam mein Leben durch die Rolle als Peters Pflegerin Sinn und Zweck, während sonst Leere geherrscht hätte. Ich sah mich als Peters Schutzengel. Er sagte, nie sähe ich schöner aus, als wenn ich mich um eine Taube mit gebrochenem Flügel kümmerte, um ein von seiner Mutter getrenntes piepsendes Küken, um eine auf dem Rücken liegende, von Ameisen übersäte Schildkröte.
    Ich war erst vierzehn, doch oft fühlte ich mich wie vierzig. Ich kümmerte mich um Peter, als sei er mein Junges, ein großes, schwerfälliges, krankes, erschöpftes Bärenjunges, dessen heulendes Gesicht ich in meinem Schoß wiegte und dessen Tränen ich mit Taschentüchern abtupfte. Seine Tränen waren ebenso die Tränen eines zerstörten Lebens wie die eines Lebens, das andere zerstörte. An unserem jüngsten Zufluchtsort vertraute Peter mir Geheimnisse an, die er noch nie jemandem erzählt hatte. Ich versuchte zuzuhören, ohne zu urteilen, wie es die Bibel lehrt. Ich versuchte, seine Erzählungen so zu behandeln, als wären sie aus »Die Geschichte«, aus einem kürzlich gelesenen Buch oder aus einem Film, den wir uns ausgeliehen hatten. Oder aus der Bibel: die beiden Töchter von Lot, die ihren Vater in einer Höhle verführen, oder Jakob, der ein Ziegenfell über seine Arme legt, um sich den Segen seines blinden Vaters zu erschleichen. Für mich hatte das Leben bereits viel von seiner Kraft verloren; von den Rändern her brach es zur Mitte hin ein, und dieses Loch war gefüllt mit dem Verständnis, das Peter sein Leben lang gesucht und nie gefunden hatte. Vielleicht war Verständnis auch das falsche Wort; was er mir erzählte, war eher eine Bestätigung dessen, was ich im biblischen Sinn längst begriffen hatte: Der böse Peter tat furchtbare Dinge unter dem Einfluss des Teufels. Seine Ehrlichkeit war der Beweis dafür, dass der gute Peter letztendlich doch über den bösen obsiegte, denn in meinen Augen lag darin der Sinn des Beichtens: selbst einzusehen, dass man gesündigt hatte, und damit aufzuhören. So beichtete er mir etwas, das mich einfach nicht mehr losließ: wie er als kleiner Junge eine Katze erhängt hatte. Er hatte die Katze im Schnee gefunden und sie ins Haus gebracht, um ihr warme Milch und Thunfisch zu geben, doch das Tier hatte ihm den Arm blutig gekratzt. Peter tötete es, weil er Verrat nicht ertragen konnte, denn bisher hatte sich jeder in seinem Leben als nicht vertrauenswürdig erwiesen. Ich fragte immer wieder: »Hast du wirklich eine Katze umgebracht?« Er versicherte mir, dass er anschließend furchtbare Schuldgefühle gehabt hätte, doch mich verstörte sein Geständnis zutiefst. Es gab noch eine andere Geschichte, laut der er seinen eigenen Hamster erschossen hatte. Mit zehn Jahren hatte Peter sich eine Luftpistole für fünf Dollar kaufen wollen, aber nicht genügend Geld gehabt. Deshalb hatte er sich an einen älteren Mann verkauft, der ihn in einem Hotelzimmer anal missbrauchte. Alles war voller Blut gewesen. Peter hatte die Luftpistole gekauft, seinen Hamster

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