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Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger

Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger

Titel: Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaux Fragoso
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erschossen und die Waffe anschließend weggeworfen.
    Bei einem anderen Ausflug in den Wald erzählte er mir, dass seine Liebe zu jungen Mädchen mit einer Neunjährigen namens Sylvia begonnen hätte, einer Nichte seiner zweiten Frau. Sylvia sei zu ihm ins Bett gestiegen, hätte ihn berührt, und er hätte ihr nicht Einhalt geboten. Für Peter war es ein gutes Gefühl gewesen, ein Spiel, als schlage er über die Stränge wie damals, als er mit dreizehn bei seinem Vater lebte und eine hübsche zwölfjährige Nachbarin hereingelassen hatte, die noch Jungfrau war. Sie hatten versucht, miteinander zu schlafen, doch ihre Scheide war zu trocken gewesen. Nach der Geschichte mit Sylvia hatte Peter angefangen, sich seinen drei Töchtern sexuell zu nähern. Es sei nichts Schlimmes passiert, beteuerte er, ihnen schien es genauso zu gefallen wie ihm. Als seine Frau es herausfand, ließ sie sich von ihm scheiden.
    Es war, als würde ich einen Film in einer fremden Sprache anschauen: Die Bilder sah ich zwar, aber ich weigerte mich, die Untertitel zu lesen. Dann dachte ich daran, was Winnie mir über einen Horrorfilm erzählt hatte, in dem einem Baby die Lippen zugenäht worden waren. Als wäre es nichts, hatte sie dieses Bild in mir eingepflanzt. Als wäre sie auch noch stolz darauf. Als wäre sie mutig, weil sie den Film ertragen hatte. Aber zu welchem Preis? Um diesen furchtbaren Anblick deutlich vor sich zu haben? Warum bloß hatte Winnie mir das erzählt, an mich weitergegeben? Als wäre es einfach nur ein Kaugummi oder eine Haarnadel.
    »Das verstehe ich nicht«, sagte ich. »Du hast immer gesagt, ich wäre die Einzige, und jetzt erzählst du mir, dass du es vor mir schon mit anderen Mädchen gemacht hast. Ich dachte, ich wäre etwas Besonderes. Du hast gesagt, du hättest dich in mich verliebt.« Als ich darüber nachdachte, fühlte ich mich wie eine Energiequelle, die von zu vielen Seiten angezapft war, mein Hirn hatte einen totalen Blackout.
    »Ich liebe dich«, sagte Peter, und seine Stimme brach. »Und du bist etwas ganz Besonderes. Meine Töchter habe ich auch geliebt, ich wollte ihnen bloß zeigen, wie groß meine Liebe ist. Aber heute weiß ich, dass ich genauso krank und süchtig war wie ein Alkoholiker, ein Glücksspieler oder Drogenabhängiger. Es gibt keine Heilung für Menschen wie mich, ich fühle mich vom Rest der Welt isoliert. Ich fühle mich wie ein Ausgestoßener, der nirgends hineinpasst, egal, was ich tue.«
    Peter nahm meine Hand. »Irgendwie muss ich gesund werden. Und wenn ich das ganz allein durchstehen muss.« Peter überlegte und fragte dann: »Hilfst du mir dabei?«
    »Ja«, sagte ich schwach, obwohl ich mir nicht sicher war, was er von mir verlangte.
    ***
    An einem Septembertag fand ich eine vom Regen durchweichte Schwulenzeitschrift im Wald und blätterte darin herum, obwohl Ameisen an den Hochglanzseiten klebten. Peter verzog das Gesicht, während ich mir Bilder von Schwulen mit blumenstraußähnlichen Genitalien ansah, von Muskelmännern, deren aufgepumpte Körper kleinen Solarsystemen glichen, von mädchenhaften Jungen, die »Twinks« genannt wurden. Diese Twinks mit ihrer schmalen Brust, ihrem hübschen Gesicht, ihrem wollüstigen, ernsten, abgestumpften, immergeilen Blick gefielen mir am besten. Auf einem der Bilder hielt ein Muskelmann einen Twink am Haar fest, der ihm hingebungsvoll einen blies. Das Foto besaß eine gewisse Zärtlichkeit, fand ich, eine gemeinsame Energie; die Szene wirkte fast väterlich. Mit großen Augen unter langen Wimpern schaute der Twink zu dem Muskelmann auf, suchte Liebe und Zuspruch, und der Mann, dem diese Aufmerksamkeit galt, blickte voller Wohlwollen auf den Jungen hinab. Ich blätterte weiter und sah andere Liebesszenen: Männer, die sich ohne Angst oder Scham küssten, Männer, die einander mit dem Mund oder der Hand befriedigten.
    Peter sagte: »Hör zu, da gibt es was, das ich dir erzählen muss. Einen Traum, den ich vor ein paar Wochen hatte.«
    Ich wunderte mich, dass er jetzt erst darauf zu sprechen kam, denn einander von unseren Träumen zu erzählen und sie versuchsweise zu deuten, gehörte zu den ersten Dingen, die wir machten, wenn wir uns am nächsten Tag sahen.
    »In dem Traum stand ein Engel in blauem Licht. Er trug ein weißes Kleid, so ähnlich wie dein Hochzeitskleid. Er schaute mich ohne Vorurteile an.« Peter schluckte; ich reichte ihm schnell ein Taschentuch aus meiner Reisepackung. »Er sah mich nicht an, als wäre ich abstoßend oder ein

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