Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger
sah, was jetzt sehr viel komplizierter werden würde, da Peter kein Motorrad mehr fahren konnte. Zusätzlich zu den chronischen Schmerzen von der Wirbelsäulenverletzung vermutete Peter, jetzt auch noch Arthritis zu bekommen. Inès schlug ihm vor, ein Schild mit der Aufschrift »Zu verkaufen« an die Gold Wing zu hängen und von dem Geld ein Auto zu kaufen, und Peter sagte immer wieder, er würde es tun, doch er setzte es nie in die Tat um. Er hoffte, dass seine Schmerzen auf wundersame Weise verschwänden und er wieder Motorrad fahren könnte.
Abgesehen von diesem Problem wurden unsere Streitigkeiten immer häufiger und aggressiver, weil er jeden oder jeden zweiten Tag von mir Sex verlangte, ohne mir dafür eine Gegenleistung anzubieten, sondern mir auch noch Schuldgefühle machte, wenn ich mich weigerte. Wir stritten, weil er sonntags mit Inès ausging oder weil er mit seinen Fantasien einfach nicht lockerließ. Ein paar Mal hatte Peter mich sogar gewürgt, was ein sehr seltsames Gefühl war. Mein Kopf war hin- und hergeschlagen, als sei er aus Gummi, und Schluchten schwarzer Punkte explodierten vor meinen sich trübenden Augen.
»Ich habe Angst, dass ich eines Tages so wütend werde, dass ich dich umbringe, ohne es zu wollen«, sagte er nach einem besonders fürchterlichen Streit und legte schluchzend den Kopf an meine Brust. »Dann müsste ich mich umbringen, weil ich ohne dich nicht leben kann. Ich liebe dich so sehr, dass ich dir nie wieder wehtun will! Bring mich nie wieder so weit, dass sich ein böser Geist meines Körpers bemächtigt! Bring mich nicht so weit, dass es keinen Ausweg mehr gibt, dass ich rotsehe und dich nur noch umbringen will, weil du mich so wütend machst. Du kannst so grausam zu mir sein, du gibst mir das Gefühl, ein Nichts zu sein. Ich möchte einfach nur, dass es so ist wie früher, als du noch klein warst, und manchmal denke ich, erst wenn wir beide tot sind, könnte es wieder so sein, und dann hasse ich mich für diesen Gedanken, weil ich dich liebe und du so jung bist und ich eher mich selbst umbringen würde, bevor ich dir etwas antäte. Liebes, du hast noch dein ganzes Leben vor dir, und ich gehe langsam zugrunde. Ich kann kaum schlafen, und manchmal will ich morgens nicht mal aufstehen, dann denke ich, du machst auch ohne mich weiter, denn du bist jung und könntest jeden haben, während ich hier in meinem Zimmer mit meinen Bildern und Erinnerungen an dich verrotte.« Ich wusste, dass es der andere Peter gewesen war, der böse, der mir wehgetan hatte. Der Peter, der so misshandelt worden war, dass er irgendwann nur noch um sich schlagen konnte.
»So weit wird es nicht kommen, Peter«, sagte ich und hielt ihn fest. »Dann sterben wir lieber. Du erwürgst mich oder drückst mir ein Kissen aufs Gesicht, und dann bringst du dich selbst um. Wie bei Romeo und Julia. Dann wird es so, wie du eben gesagt hast, nämlich wie früher, wie in einer Schneekugel, und wenn man sie schüttelt, ist alles wieder dasselbe, das wird wunderbar sein.«
»Ich liebe dich so sehr«, sagte Peter, und ich streichelte sein Gesicht und sein Haar. »Ich kann es nur einfach nicht ertragen, wenn du mir die Klinge an den Hals setzt, wenn du mein Scharfrichter wirst und die Messer wetzt. Ich könnte niemals ins Gefängnis gehen. Das weißt du.«
Die Klinge war ein Begriff aus unserer Geheimsprache. Wenn wir uns stritten, gingen mir manchmal die Nerven durch, und ich drohte, zur Polizei zu gehen und alles zu erzählen. Das wäre selbstzerstörerisch, denn wenn Peter jemals hinter Gitter käme, hätte ich so große Schuldgefühle, dass ich mich umbringen müsste. Niemals könnte ich den einzigen Menschen auf der Welt verraten, dem wirklich etwas an mir lag.
23
Die Beichte
Schließlich entdeckten wir einen Ort, der zu Fuß erreichbar war, wo wir allein sein, Händchenhalten und die romantischen Dinge sagen konnten, nach denen ich mich sehnte. Um zu unserem neuen Zufluchtsort zu gelangen, mussten wir eine lange Aluminiumtreppe hinuntergehen, zu der ein schmuckvolles schmiedeeisernes Tor am Boulevard East führte. Bei einem Imbissstand in der Nähe holten wir uns Limonade und Hot Dogs, dann stiegen wir mit dem Hund die 221 gewundenen Stufen hinunter. Peter wurde bei diesem beschwerlichen Ausflug so müde, dass er sich zwischendurch auf eine Stufe setzte und scherzhaft hechelte wie Paws. Wenn er das tat, war es an mir, ihm einen Kuss zur Stärkung zu geben, so wie ich es vor vielen Jahren getan hatte. Paws, der
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