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Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger

Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger

Titel: Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaux Fragoso
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wenig enttäuscht und eifersüchtig. Ich hatte gedacht, Verrückter Professor sei unser ganz besonderes Spiel, und konnte nicht umhin, mich zu fragen, mit wem er es noch gespielt hatte.

4
    Wilde
    Wie es aussah, hatte Poppa eine Anzahlung auf ein Haus geleistet. Der Umzug wurde allerdings nicht voller Vorfreude herbeigesehnt; er fand einfach an einem Septembertag statt, mit unzähligen verklebten UPS-Kartons und einem großen weißen Lkw. Den Großteil meiner Spielsachen spendeten wir der Emanuel Methodist Church gegenüber dem Spielplatz auf der 32nd Street. Am Vortag hatten Poppa und ich eine kleine Rundfahrt durch unseren Stadtteil unternommen, weil er mir noch einmal all die schrecklichen Dinge zeigen wollte, denen wir durch unseren Umzug neun Häuserblöcke weiter nun entkamen. Poppa hatte Mommy angeboten, uns im Auto zu begleiten, doch sie wollte lieber zu Hause bleiben und Radio hören. Jetzt, da all unsere Sachen gepackt waren und auf dem weißen Laken nur noch meine Mutter mit dem Radio lag, sah das Schlafzimmer deprimierend aus. Mommy hatte sich noch nicht umgezogen, sondern trug ein langes kariertes Gewand mit Schnappverschlüssen auf der Brust, das sie von einem ihrer Krankenhausaufenthalte mitgenommen hatte. Das nackte Wohnzimmer bot den schlimmsten Anblick: Da nun all mein Spielzeug verstaut war, kündete allein das Gekritzel an der Wand flüsternd von meiner Gegenwart. Immer wenn Poppa sich über den Vermieter geärgert hatte, ermunterte er mich, mich an den Wänden künstlerisch zu verwirklichen.
    »Trödel nicht so!«, sagte Poppa und zog mich forsch hinter sich her. Als wir das Treppenhaus hinunterstiegen, wo es nach Urin und Bier roch, sagte er: »Keesy, wenn ich gleich mit dir herumfahre, dann sieh dir all die Orte gut an, wo du deinen Spaß hattest. Diese Frau ist so faul, sie wird sich bestimmt nicht die Mühe machen, mit dir zu Fuß in diesen Stadtteil zu gehen, wenn wir umgezogen sind, und ehrlich gesagt, möchte ich auch nicht, dass du noch mal in diese Gegend zurückkehrst.«
    Als wir die 30th Street erreichten, hielt Poppa an, um ein letztes Mal bei Havana Cigars Zigarren zu kaufen. Allein im Chevy , blieb mir nichts anderes übrig, als traurig auf die Beeline-Spielhalle zu schauen, wo ich immer Galaga und Ms. Pac Man gespielt hatte. Ich dachte an die eine Querstraße von unserer Wohnung entfernte Rollschuhbahn, auf deren weiße Backsteinmauer ein großer Rollschuh mit roten Rollen gemalt war; aus Angst, dass ich hinfallen und mir den Hals brechen könnte, hatte mir meine Mutter nie erlaubt, dorthin zu gehen.
    Als ich gerade dachte, ich müsste weinen, kam Poppa mit zwei Sorten Zigarren zurück: Ninfas und Senadores .
    »Weißt du was«, sagte er und umklammerte das Lenkrad, obwohl er noch gar nicht losgefahren war, »ich habe mich mit dem Verkäufer da drin unterhalten, und er meinte, wir würden gerade noch rechtzeitig wegziehen. Es würde hier immer mehr Drogenabhängige geben, und von den kleineren Hausnummern weiter unten kämen immer mehr Banden und zwielichtige Gestalten hoch. Die schleichen sich ein, wie Kakerlaken, man kann sie nicht aufhalten. Ich habe sogar gehört, dass auf dem Parkplatz von Toys ’R’ Us inzwischen Prostituierte übernachten sollen, ist das zu glauben?«
    Als Poppa sich in den Verkehr einfädelte, sah er sich um. »Dies ist ein schlechter Stadtteil, Keesy. Der Mann da hinten, der auf die Straße spuckt. Ich würde nicht mal auf die Straße spucken, wenn ich ersticken müsste! Deshalb habe ich immer ein Taschentuch bei mir; ich spucke nie aus, und ich fluche auch nie auf der Straße wie diese asozialen Penner, ich werfe meinen Müll nicht einfach weg. Guck mal da, Keesy, die beiden Tauben, die an den Zigarettenkippen picken; sie glauben, sie könnten sie fressen! Ein deprimierender Anblick. Der ganze Stadtteil ist so deprimierend. Ich habe sogar daran denken müssen, eines Tages einfach in mein Auto zu steigen und woanders zu leben, irgendwo anders, bloß nicht hier. Aber ich habe Verantwortungsgefühl; ich bin kein Deserteur. Wer sonst würde sich mit einer Frau wie deiner Mutter abgeben? Ich will dir was sagen, Keesy: Genieße deine Jugend! Denn man weiß nie, was aus dem eigenen Leben wird.«
    Er seufzte und fuhr fort: »Man bekommt im Leben nicht immer das, was man will. Aber man kann zu sich selbst stehen, man kann ein Mensch sein, der mutige Dinge tut, der Ängste überwindet, und man kann mit Stolz auf seine Jugend zurückblicken. Deshalb bin ich mit

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