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Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger

Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger

Titel: Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaux Fragoso
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eins«, er hob mein Kinn an und sah mir in die Augen. »Sag mir eins: Was hat dieses Haus aus dir gemacht? Wenn du nicht auf mich hörst, auf deinen Vater, dann wird es dir noch leidtun. Du wirst weinen, du wirst richtig weinen, wenn ich dir dieses Haus wegnehme. Ich weiß, dass du dann weinst, denn es ist das Einzige, was dir wichtig ist. Also pass besser auf.«
    Ich ging weiter, und er nahm wieder meine Hand.
    »Gut so«, sagte er.
    ***
    Während wir auf eine freie Friseuse warteten, blätterten weder Poppa noch ich in den Zeitschriften, die auf einem kleinen Beistelltisch auslagen. Poppa hielt meine Hand fest und wippte mit dem Bein. Zuerst hatte ich Angst, ihn anzusprechen, dann sagte ich ganz leise: »Poppa, aber nicht viel, ja?«
    »Ich sage ihnen, sie sollen nur die Spitzen abschneiden. Die sind kaputt. Es muss was ab.«
    »Nur ein bisschen, ja? Versprochen?«
    »Ich verspreche gar nichts. Diese Frauen haben Erfahrung; sie wissen genau, was zu tun ist. Ich bin ein Mann, ich habe nicht viel Ahnung von Haaren. Ich sage ihnen, sie sollen es nach bestem Ermessen machen.«
    »Poppa, eben hast du gesagt, sie sollen nur die Spitzen abschneiden! Jetzt sagst du was anderes!«
    »Fang nicht wieder an!«, sagte er und presste meine Finger zusammen. »Demütige mich besser nicht.«
    Ich war still, bis sein Druck auf meine Hand nachließ. »Gut, aber kann ich dir was sagen? Bald geht die Schule wieder los; die anderen Mädchen haben alle lange Haare. Ich bin die Einzige in der Schule mit kurzem Haar; sie machen sich über mich lustig. Wenn du zu viel abschneiden lässt, dann bekomme ich wirklich, das wird … ich meine … ich bin …« Ich räusperte mich und riss mich zusammen, um nicht zu weinen. »Das wird schlimm für mich, Poppa. Es ist schwer, anders auszusehen als die anderen. Ich will wie die anderen Mädchen aussehen. Ich muss aussehen wie sie, sonst lachen sie mich aus. Sie sagen immer, ich wäre verrückt und hässlich.«
    Er schwieg.
    »Hörst du mir zu, Poppa?«
    Er schwieg weiter.
    »Das wird schlimm für mich, Poppa.«
    »Ich sage ihnen, sie sollen nur ein bisschen abschneiden. Wenn dich das glücklich macht, sage ich, nur die Spitzen, ja?« Er drückte meine Hand, diesmal auf liebevolle Weise, und ich war erleichtert.
    Eine Friseuse mit langen weißen Fingernägeln und voluminöser Dauerwelle legte mir den weiten Umhang an und führte mich zu den Waschbecken, wo ich mich so auf den Lederstuhl legte, dass mein Haar in das mit warmem Wasser gefüllte Becken glitt. Nach dem Waschen wurde ich zu einem großen Drehstuhl vor großen glänzenden Spiegeln geleitet. Ich sah Haarspray, schicke Kämme, Bürsten und Föhne. Vidal Sassoon , Aqua Net . Poppa unterhielt sich mit der Frau auf Spanisch.
    »Was hast du ihr gesagt, Poppa?«
    »Ich hab ihr gesagt, sie soll die kaputten Spitzen abschneiden. Bleib still sitzen, wenn sie schneidet! Sonst kann sie dich verletzen. Ist vielleicht besser, wenn du die Augen zumachst. Manchmal rutschen sie ab. Nicht dass du dich plötzlich bewegst, und auf einmal bist du blind.«
    Ich machte die Augen nicht zu. Doch als die kleinen Härchen hineinfielen, hielt Poppa einfach die Hand davor.
    Ich spürte das feine Kitzeln der kurzen prickelnden Haare auf meinen Wangen. Die Friseuse drehte meinen Kopf nach links und rechts und hielt mein Kinn fest. Ich fühlte die Spitzen ihrer langen Fingernägel und ihre weichen Finger. Ich spürte den weiten schwarzen Umhang, den steifen Stoff und den Druck des Kragens auf meinen Hals.
    »Stillsitzen! Oder soll sie dich etwa schneiden? Du machst das gut. Sitz still!«
    »Okay, fertig.«
    Das Erste, was ich sah, waren meine Haare auf dem Boden. Dann merkte ich, dass mir das Haar nur noch bis zu den Ohren reichte. Ich stieß einen Schrei aus.
    »Psst! Hör auf! Benimm dich!« Poppa hielt mir den Mund zu, meine Zähne berührten seine Finger. »Du siehst gut aus! Ich bin stolz auf dich. Du kannst so eine Frisur tragen. Man nennt sie Pagenkopf. Das ist jetzt ganz modern. Du hast ein Gesicht wie ein Fotomodell. Dir steht so was. Viele Hollywoodstars tragen das Haar jetzt so. Auf den Laufstegen in Paris sieht man fast nur noch kurzhaarige Mädchen.«
    »Du hast mich angelogen«, sagte ich, als mir die Friseuse den Handspiegel hinter den Kopf hielt, das Haar mit der Hand auffächerte und ein zu breites Lächeln aufsetzte.
    »Komm, jetzt holen wir uns ein Eis. Vielleicht gehen wir auch zu Woolworth , da kannst du dir was aussuchen, Malbücher zum

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