Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger
Beispiel.«
»Du hast mich angelogen! Du hast ihr gesagt, sie soll mehr abschneiden, als du mir gesagt hast.«
»Es ist peinlich, wie du dich aufführst. Wir reden darüber, wenn wir allein sind. Los jetzt.«
***
Draußen biss mir die Sommerhitze in den Nacken. Mein Rücken juckte dort, wo mir Haare ins T-Shirt gefallen waren. »Ich sehe wie ein Junge aus! Guck mal, wie ich aussehe!«
»Das ist alles die Schuld dieser dummen Frau. Ich habe ihr gesagt, sie soll nur ein bisschen abschneiden. Die Leute machen einfach, was sie wollen. Deshalb habe ich ihr auch nicht viel Trinkgeld gegeben.«
»Das waren drei Dollar!«
»Normalerweise gebe ich fünf. Deshalb lasse ich mir das Haar lieber von einem erfahrenen Friseur schneiden. Diese jungen Mädchen hören nie zu.«
»Du hast Spanisch mit ihr gesprochen, damit ich nichts verstehe! Ich bin doch nicht blöd!«, schrie ich. »Du willst, dass die anderen über mich lachen! Du willst, dass ich hässlich bin wie ein Junge! Du willst mein Leben kaputtmachen! Ich hasse dich! Ich hasse dich!«
»Du hasst mich? Na schön. Das musste ja so kommen. Vielleicht solltest du nicht mehr so oft zu diesem Haus gehen. Es musste so kommen, dass du unter dem Einfluss von Wilden aufsässig wirst.«
»Nein! Tu das nicht! Tu das nicht!«
»Du hasst mich. Das hast du gerade gesagt. Du hasst mich, gut, in Ordnung. Weißt du was, wenn du mich hassen willst, dann hasse ich dich auch! Ich kann auch hassen! Los jetzt!«
»Ist mir egal, ob du mich hasst! Ist mir egal, was du denkst!«
»Du bist ein Tier. Du bist ein wildes Tier. Du bist kein Mensch mehr. Kein Wunder, dass sie über dich lachen! Los jetzt. Es liegt nicht an deinem Haar, es liegt an dir! Ich hatte immer schon Angst, dass nichts aus dir wird, bei dieser kranken Mutter, und ich habe recht gehabt. Du bist eine falsche Schlange. Gehen wir! Gib mir deine Hand!«
»Nein!«
»Gib mir jetzt sofort deine Hand!«
***
Als Peter meinen Haarschnitt sah, schossen ihm Tränen in die Augen. Mein neuer Anblick machte ihn traurig.
Als meine Mutter später bei Pathmark einkaufen war und Karen auf dem Boden im Wohnzimmer mit dem Tinkertoy -Set spielte, das Peter ihr auf dem Flohmarkt gekauft hatte, sagte er zu mir: »Ich finde es unglaublich, was dein Vater getan hat. Das ist Kindesmisshandlung!«
Karen schaute auf. »Mein Haar ist immer noch lang«, sagte sie.
Peter ignorierte sie. »Er hatte kein Recht, dein Haar abzuschneiden! Du bist nicht sein Eigentum! Niemand hat das Recht, über deinen Körper zu bestimmen!«
8
»Nur wenn du das willst«
Karen kam in die erste Klasse und ich in die dritte. Ich stellte fest, dass die Schreiblernhefte, die alle so langweilig fanden, für mich die reine Wonne waren; ich bekam sogar einen Anstecker fürs Schönschreiben, den ich stolz trug. Im Oktober verfasste ich, ermutigt von Peter, meine erste selbstgeschriebene Geschichte auf liniertem Notizblockpapier: »Die Katze und der Hund sind die besten Freunde. Sie wohnen zusammen in einem großen Haus mit ganz vielen Möbeln. Eines Tages macht der Hund alles durcheinander, er macht alles kaputt. Er kratzt und beißt alles klein. Aber in der Nacht putzt Miezi und putzt und wischt und fegt. Bis der ganze Dreck und das Durcheinander weg sind. Und sie sind wieder glücklich. Ende.«
Ich schrieb weitere Geschichten, und jetzt las sie auch jemand. Sorgfältig band Peter die losen Blätter zu einer Mappe mit der Aufschrift Margaux’ Geschichten zusammen und bewahrte sie in der schwarzen Truhe mit dem kaputten Riegel auf, in dem schon die zwei dicken Fotoalben namens Margaux’ Fotos lagen, außerdem eine Sammlung mit dem Titel Margaux’ Kunst , die meine Zeichnungen enthielt. Ich war nicht besonders gut im Zeichnen, doch Peter schien alles, was ich malte, für ein Meisterwerk zu halten. Es gab ein Bild, das ich ihm zum Vatertag geschenkt hatte, darauf waren ein Tiger und ein Adler zu sehen (Peters Lieblingstier), sie waren von einem Herzen eingefasst; unter dem Herz waren ihre Kinder: kleine Tiger mit Flügeln. Eines Freitags holte Peter diese Zeichnung aus dem Album, fasste sie in einen Goldrahmen und hängte sie in seinem Zimmer auf, wo sie die nächsten vierzehn Jahre bleiben sollte.
In letzter Zeit hatte ich nachts Schlafprobleme. Wenn ich früh aufwachte, nutzte ich die Zeit: Leise schlich ich die Treppe hinunter, knipste das schwache Licht vom Küchenherd an und schnitt stundenlang aus Papier Marienkäferfiguren für ein Spielset aus. Da Poppa jetzt
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