Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger
zerstört! Sieh mich jetzt an! Sieh mich an!«
»Ja, genau, guck in den Spiegel!«, grölte Poppa und lachte. »Guck in den Spiegel, dann siehst du nämlich, was ich mir jeden Tag angucken muss! Eine fette Kuh, die niemand haben will! Kein Wunder, dass ich mir Freundinnen suche! Das leugne ich nicht! Ich habe Freundinnen! Und, was willst du dagegen tun? Erzähl mal, was du vorhast …« Meine Mutter schluchzte. »Erzähl mal, wie wunderbar die Welt ist. Erzähl mir, dass dieser Mann nur einen Spielkameraden will, eine kleine Nymphe für seinen Garten. Ich bin kein Spinner. Von einigen werde ich vielleicht so behandelt, manche tun so, als sei ich nicht wichtig, als wäre ich nur hier, um Rechnungen zu bezahlen, zu kochen und zu putzen und wie ein Feldarbeiter zu schwitzen! Sag mir, ob die beiden je allein waren! Sag mir, ob sie je allein waren!«
»Sie waren nie allein!«, schrie Mommy. »Und wenn sie es gewesen wären, waren seine Absichten mit Sicherheit besser als deine bei all deinen Frauen! Er ist kein Trinker wie du. Er liebt seine Freundin. Er ist ihr treu. Er hat ein gutes Herz. Er hat ein gutes Herz, und deshalb kannst du ihn nicht ausstehen! Weil du verdorben bist!«
»Pass bloß auf, was du über mich sagst. Pass bloß auf!«
» Du solltest besser vorsichtig sein, du Schwein!« Nie zuvor hatte ich diesen Blick bei ihr gesehen, den ich in jener Nacht in ihrem Gesicht sah. »Margaux, komm die Treppe runter! Guck dir an, wie dein Vater wirklich ist! Wie viele Geschwister du hast, von denen du gar nichts weißt! Ruf die Polizei! Los! Ruf die 911!«
Ich bekam Angst und lief zum Treppenabsatz. Poppa schaute hoch und sah mich dort stehen. Er sah mich ein letztes Mal an, hob die Hand, formte sie zu einer Klaue und schlug meiner Mutter die Fingernägel in die Stirn. Ich raste die Treppe hinunter und schrie: »Hör auf! Tu ihr nicht weh, Poppa!« Auf halber Höhe rutschte ich aus und purzelte die letzten Stufen hinunter, in meine Eltern hinein. Meine Mutter kreischte. Als mein Vater seine Hand zurückzog, waren seine Finger blutverschmiert.
Mommy schrie ihn an: »Du kämpfst wie eine Frau! Kratzt mit den Fingernägeln! Mit den Nägeln!«
Poppa wirkte benommen. Nach einer guten Minute ging er zum Telefonanschluss an der Wand und zog ihn heraus. »Ich möchte, dass ihr beiden euch beruhigt«, sagte er. »Ich habe heute Abend ein bisschen zu viel getrunken. Ich habe ein bisschen zu viel gehabt, da wird so einiges geredet. In so einem Moment haben Worte keine Bedeutung. Ich habe Stress auf der Arbeit, vielleicht kündigen sie mir, ich hänge an einem seidenen Faden, momentan läuft es nicht gut. Deiner Mutter geht es seit einiger Zeit schlechter. Ich möchte, dass ihr beide euch jetzt beruhigt und zu euch kommt. Wenn die Polizei kommt, dann wirst du« – er zeigte auf meine Mutter – »in die Anstalt gesteckt, und du« – er wies auf mich – »kommst in ein Heim. Alle Menschen auf der Welt streiten sich mal. Jeden Tag gibt es Krieg, also guckt mich nicht so an, als wäre ich ein schlechter Mensch! Guckt mich nicht so an, als könntet ihr mich nicht ausstehen! Ich habe mich um euch gekümmert, um euch beide! Ohne mich säßet ihr beide draußen auf der Straße!«
***
»Fehlt er dir manchmal?«, fragte ich Mommy.
Es war Samstagabend, Poppa war in der Bar. Mommy und ich spielten am Eichentisch in der Küche Dame. Sie hatte einen großen Mullverband auf der Stirn, wo Poppa sie gekratzt hatte. Poppa hatte uns eingeschärft, wir sollten sagen, Mommy hätte versucht, unseren entflogenen Sittich vor einer streunenden Katze zu retten. Obwohl die Geschichte albern war, stellte sie niemand in Frage – weder die Nonnen in meiner Schule, wenn Mommy mich hinbrachte, noch der Inhaber der Bodega La Popular, noch die Bekannten von Mommy, die bei J&J , Jelly Bean , Carvel oder im Drugstore Sugarman arbeiteten, nicht einmal der Postbote, der immer mit Mommy plauderte.
»Fehlt – er – dir – manch – mal?«, wiederholte ich.
»Hm?«, machte Mommy blinzelnd und zupfte an ihrem Verband. »Das Ding juckt, es macht mich wahnsinnig. Wer fehlt mir?«
»Du weißt schon. Peter. Doppelsprung.« Ich nahm zwei ihrer roten Spielsteine vom Brett.
»Oh, das habe ich gar nicht gemerkt.«
»Hab dich reingelegt.«
Mommy seufzte und sagte: »Es fehlt mir, dahin zu gehen, zu Peter. Mir fehlt der Garten, es war so ein schöner Garten. Und das kleine Mädchen, Karen, das war so ein nettes Mädchen. Mir fehlt Paws, der Golden Retriever,
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