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Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger

Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger

Titel: Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaux Fragoso
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Ohren auf und hör mir zu! Du darfst dich nie entschuldigen.«
    »Was soll ich dann sagen?«
    »Sag nicht: Es tut mir leid. Es tut mir leid, Entschuldigung, Verzeihung – was soll das? Du kannst es ja doch nicht rückgängig machen!«
    ***
    Poppa hielt sein Versprechen. Am nächsten Abend gingen wir von einer Bar zur nächsten, auch zu der mit dem altmodischen Flipperautomaten, der auf Wildwest getrimmt war: Pferdegetrappel und Pistolenschüsse. Immer wenn ich das Kleingeld aufgebraucht hatte, lief ich zu Poppa, um neues zu holen, und rutschte fast in meinen College-Schuhen aus. Ich sah hübsch aus in einem blauen Pannesamtkleid mit Strumpfhose. Eine junge Frau saß auf Poppas Schoß. Sie hatte eine Löwenmähne, und ihr grell geschminktes Gesicht sah aus, als sei sie in einen Tuschkasten gefallen. Sie lachte über alles, was Poppa sagte, und er bestellte ständig Nachschub für sie. Aber sie blieb nicht lange, und als sie ging, zogen wir weiter in die nächste Bar und in die übernächste. Ich nippte an Poppas Bier, wenn keiner hinsah.
    Als wir in einer dunklen Bar hinten an einem runden Kirschholztisch saßen, bestellte Poppa einen Grey Goose auf Eis für sich und eine Cola mit Orange für mich; ihm war eingefallen, dass ich keine Kirschen mochte.
    Die Kellnerin kam zurück und stellte die Getränke auf dem Tisch ab. Poppa gab ihr Trinkgeld und lobte ihre falschen Fingernägel, als er ihr das Geld in die Hand legte.
    »Keesy, iss die Orangenscheibe«, sagte er, als die Kellnerin fort war.
    »Soll ich dir was erzählen, Poppa? Letztens hat Mommy mir eine Apfelsine geschält. Da hat sie plötzlich angefangen, sich selbst zu schneiden, und überall war Blut auf den Apfelsinen.«
    Poppa schwieg, dann sagte er: »Ich bin froh, dass ich sie ins Krankenhaus gebracht habe. Es war die richtige Entscheidung.« Er holte eine Zigarette aus seiner Marlboro packung und zündete sie an. »Ich habe dir schon mal erzählt, dass ich damals in Spanien, als ich jung war, ungefähr neunzehn, beim Stierlauf mitgemacht habe. Auf einmal fiel ein Mann vor mir hin. Ich wollte ihm aufhelfen. Aber ich musste weiterlaufen. Verstehst du das, Keesy? Ich musste für mich selbst sorgen, denn wäre ich stehengeblieben, hätten sie mich niedergetrampelt.« Er hielt inne. »Das ist wie in der Bibel: Lots Frau dreht sich um und erstarrt zu einer Salzsäule. Zurückschauen ist Salz. Zurückschauen ist Tränen. Auf die Vergangenheit zurückschauen ist tödlich.« Er räusperte sich. »Komm, wir wechseln das Thema. Manchmal denke ich zu viel nach, so wie du.« Er wies auf die Orangenscheibe, und als ich sie mir nicht nahm, aß er sie selbst. »Ich will dir was sagen, Keesy, etwas über Apfelsinen. Sie kommen aus China. Jeder denkt, sie wären aus Florida, aber das stimmt nicht, sie sind chinesisch. Nudeln auch. Die kommen nämlich gar nicht aus Italien. Weißt du, woher ich das weiß?«
    »Nein«, sagte ich und trank die Cola durch den Strohhalm. Mein Gesicht war heiß, mir war leicht übel, aber ich spürte nicht meine sonst übliche Beklemmung und Furcht. Ich wusste nicht, ob das am Alkohol lag oder nur daran, dass wir an einem mir fremden Ort waren. »Woher weißt du das?«
    »Aus dem Faktenbuch deiner Mutter. Ihr kleines Buch der Katastrophen, das sie überall hin mitnimmt, ihr kleiner Führer, der ihr durchs Leben hilft, leider nicht wirklich. Nicht wirklich.« Poppa trank einen Schluck und fuhr fort: »Du musst wieder lernen zu lächeln. Schlechtgelaunte Menschen mag niemand. Ich habe gelernt, in harten Zeiten zu lächeln. Das wirst auch du lernen. Nun sag doch mal, Keesy, wo liegt das Problem? Sag mir, warum du so traurig bist. Und erzähl mir nicht, es ist wegen deiner Mutter. An die bist du nämlich gewöhnt.«
    Mein Herz schlug schneller, dann sprudelte es aus mir heraus: »Ich würde gerne wieder zu Peter gehen. Nicht wegen ihm. Er hat immer gearbeitet, wenn ich da war, ich habe ihn nicht oft gesehen. Ich war in seinen Sohn verliebt, in Ricky. Wir haben immer zusammen gespielt. Er war so süß. Ich habe mir immer ausgemalt, dass wir mal heiraten. Er fehlt mir, Poppa. Ich vermisse das Gefühl, wenn er im Zimmer ist.«
    Poppa nickte. »Verstehe ich. Ich habe ein Bild von dem Jungen gesehen. Hat mir deine Mutter mal gezeigt. Sehr hübsch, wenn auch etwas ungepflegt. Du kommst jetzt in das Alter. Das Alter, wo Jungen wichtiger werden. Aber ich will dir etwas sagen: Liebe ist etwas, das man Phantomschmerz nennt. Die Dichter schreiben über sie,

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