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Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger

Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger

Titel: Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaux Fragoso
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wenn sie nie in die Tat umgesetzt wurden, zum Beispiel von zu Hause auszureißen und wie Natty Gann mit der Eisenbahn zu fahren. Es gab aber auch einige Pläne, die umgesetzt werden konnten, wie der Animal Love Club, ein kurzlebiges Projekt, bei dem man Protestbriefe gegen Pelzfabrikanten und Tierversuche verfassen musste. Oft spielte ich Poppas Wutanfälle nach, und die anderen lachten sich schlapp (obwohl Poppas Tiraden alles andere als witzig waren, wenn sie stattfanden). Peter sagte, er würde meine Freundinnen gerne kennenlernen, aber ich war mir nicht sicher, ob das wirklich eine gute Idee war. Ich wollte ihn nicht mitnehmen in die Welt, die ich mit den anderen teilte. Leider hatte er noch dieselbe Angewohnheit wie früher, mich nämlich so lange zu bedrängen, bis er bekam, was er wollte.
    »Schämst du dich, mich mit deinen Freundinnen bekannt zu machen?«, fragte er mich eines Tages, als ich Paws bürstete. Ich badete ihn regelmäßig gegen Flöhe und pflegte sein Fell, so dass es wieder wunderbar glänzte.
    »Tja, was soll ich denn sagen, wer du bist?«, fragte ich, sammelte die Fellbüschel zusammen und verstaute sie in einer leeren Tüte.
    »Du kannst doch sagen, ich bin ein Freund von dir. Sie sind deine Freundinnen, und ich bin ein Freund«, sagte er und streichelte meinen Rücken. Kurz erstarrte ich, dann tat ich, als sei nichts geschehen.
    »Wir sehen uns nur selten außerhalb der Schule.« Das stimmte nur zum Teil. Winnies Mutter hielt von uns allen nicht viel, und Grace wohnte zu weit weg. Einmal waren Grace und ich zu Irene gefahren und hatten dort Der Exorzist geguckt. Um die verängstigte Grace ein bisschen zu beruhigen, hatten wir so getan, als würde das besessene Mädchen Aerobic machen. Ein anderes Mal hatte ich bei Irene übernachtet, und wir hatten bis zwei Uhr morgens Geistergeschichten gelesen.
    »Hm, wir können uns ja was ausdenken. Du könntest sagen, ich wäre dein Onkel. Ich könnte dich und Grace in die Zaubervorstellung am Wochenende einladen!« Am Samstag fuhr Peter mich mit dem Motorrad zur Vorstellung, was Grace beeindruckte, die von ihrer Mutter in einem langweiligen Toyota gebracht wurde. Peter schien ganz genau zu wissen, wie man einem schüchternen Menschen seine Befangenheit nimmt. Er machte Polaroidfotos von uns beiden mit der Python des Zauberers in den Händen. Später sagte Grace, wie nett mein Onkel sei und wie lustig es gewesen sei. Peter schlug vor, wieder mit uns auszugehen, aber ich sagte, Grace’ Mutter hätte sich nicht gerne durch den Verkehr gekämpft. Als er nicht nachgab, sagte ich, Grace und ich wären nicht mehr so eng befreundet, weil sie jetzt beim Mittagessen bei den beliebten Mädchen säße. Ich log Peter nicht gerne an, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, keine andere Wahl zu haben.
    ***
    In den vergangenen zwei Jahren hatte es in Peters Haus Veränderungen gegeben, die mir allerdings nicht sofort aufgefallen waren. Eines Tages merkte ich, dass die Kaninchenställe nicht mehr da waren. Peter sagte, die Kaninchen hätten einen Virus gehabt und wären gestorben. Dann erfuhr ich, dass Wächter, der Kaiman, von einem unidentifizierten Dachbodengast aus seinem Terrarium entführt und mitten im Winter im Garten ausgesetzt worden war. Die arme kleine Kreatur war erfroren. Jetzt gab es nur noch die Vögel und Paws.
    Verändert hatte sich auch, was wir miteinander tun konnten. Als ich acht war, hielt Peter oft meine Hand, und niemand sagte etwas dazu. Wenn er jetzt während eines Spaziergangs mit Paws meine Hand nahm, ernteten wir misstrauische Blicke. Ich wusste nicht, was andere Leute unser Tun und Lassen anging.
    An einem Tag im März waren Peter und ich in der Küche und blätterten in einem Fotoalbum. Meine Mutter war im Wohnzimmer und telefonierte mit der Amerikanischen Krebsgesellschaft, weil sie wissen wollte, wann sich Peter auf Prostatakrebs untersuchen lassen sollte. Unter der glänzenden Folie des Fotoalbums war Karen zu sehen, Kopf und Arme in einem riesigen Holzteil eingeschlossen. Ich fragte Peter, was das sei, und er antwortete, es sei ein Pranger, damit hätte man im Mittelalter Menschen gefoltert. Vor ungefähr anderthalb Jahren wären sie zusammen auf einem Mittelalterfest gewesen, Inès, Peter, die Jungs, Karen und Richard.
    Erneut betrachtete ich Karen auf dem Bild. Sie sah alt aus, obwohl sie höchstens sieben Jahre alt sein konnte. Vielleicht lag es an der roten Schminke unter ihren Augen. Oder an dem Holzstück, das ihren Kopf und

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