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Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger

Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger

Titel: Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaux Fragoso
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ins Ohr flüsterte: »Am liebsten würde ich jetzt sterben.« Peter schüttelte nur den Kopf.
    Leider beachtete Ricky mich kaum, aber Richard, Inès’ neuer Freund, schaute jedes Mal auf, wenn ich vorbeiging. Richard war neunundzwanzig und sah umwerfend aus mit seiner Baskenmütze und dem zerzausten braunen Haar. Seine zerfledderten Science-Fiction-Taschenbücher, die mittelalterlichen Fantasyromane und seine Hornbrille verliehen ihm einen intellektuellen Anstrich. Richard war immer breit, weil er Marihuana rauchte oder kokste, das behauptete zumindest Peter. Er sagte, Richard sei charmant, das würde ihn immer retten, aber er sei wie ein kleines Kind und könne es an keinem Arbeitsplatz länger aushalten, er könne nichts anderes als lesen, rauchen und essen. Nach Peters Aussage warf Richard seine Zigarettenkippen in die Toilette, vertilgte die gesamte Spaghettisauce und sämtliches Weißbrot, ohne an andere zu denken, aber wenigstens war er ein guter Schachspieler und machte Inès auf eine Weise glücklich, wie es Peter nie fertiggebracht hatte. Als ich ihn fragte, warum er sie nicht hatte glücklich machen können, erklärte Peter, er hätte ihr vor über drei Jahren gesagt, er könnte nicht mehr mit ihr schlafen. Das war kurze Zeit, nachdem er mit mir zum ersten Mal intim gewesen war, sagte er, und er hätte mir nicht untreu werden wollen. Inès erzählte er, der Grund dafür, dass er nicht mit ihr schlafen könne, sei seine katholische Erziehung, die ihm Schuldgefühle mache. Zuerst hatte Inès gesagt, es sei wohl das Beste, wenn Peter sie verließe, denn sie sei nicht bereit, ihr Leben als Frau aufzugeben, doch Peter hatte geweint, war sogar vor ihr auf die Knie gefallen und hatte sie angefleht, ihn nicht hinauszuwerfen. Er hatte gesagt, dass es ihn nicht stören würde, wenn Inès sich mit anderen Männern treffe, er wünsche es ihr sogar, ihn sollte sie von nun an bitte als Mitbewohner betrachten. Kurz darauf hatte sie Richard kennengelernt.
    Peter sagte mir, ich solle mich von Richard fernhalten, doch manchmal, wenn er und Mommy nicht dabei waren, hörte ich nicht auf ihn. Ich huschte gerne an Richard vorbei, der dann oft eine Bemerkung machte wie: »Hi, Süße!« oder »Da kommt der Schuljungentraum« oder behauptete, wenn die Mädchen wie ich ausgesehen hätten, als er in der sechsten Klasse war, hätte er niemals erwachsen werden wollen. Doch leider beachtete Ricky mich so gut wie gar nicht. Selbst wenn ich meinen roten Body mit dem kleinen Reißverschluss und meine enge Halskette trug, den Stardust-Lippenstift von Revlon auflegte, die Fingernägel silbern lackierte und schwarzen Kajal um die Augen hatte wie an jenem Tag in der Küche. Ich hoffte, dass er mich nicht hässlich fand. Auch wenn ich eine ansehnliche Brust hatte, war ich mager und hatte schmale Hüften im Vergleich zu den üppigeren dominikanischen und kubanischen Mädchen wie Winnie oder zu den anderen, die nicht nur halb, sondern ganz puertoricanisch waren. Im Gegensatz zu Winnie und Grace hatte ich noch nicht meine erste Periode bekommen, und Mommy sagte immer, dafür müsse ich erst etwas mehr Fleisch auf den Rippen haben. Peter war ganz ihrer Meinung. Deshalb saß ich am Küchentisch, und er häufte mir die Riesenportion Schinkenspeck auf den Teller und nannte mich »Schinkenkönigin«. Ricky machte sich einen großen Teller Spaghetti in der Mikrowelle warm und nahm ihn mit nach oben, wahrscheinlich um ihn mit den anderen zu teilen. Erst als er fort war, konnte ich mit dem Essen beginnen. Am liebsten mochte ich die fast rohen Streifen, dick und rosa, die vor Fett und Salz nur so trieften.
    »Iss nicht so schnell, sonst wird dir gleich schlecht«, sagte Peter und tat, als würde er sich auf mich stürzen, untermalt von wilden Geräuschen. Zuerst sagte ich: »Du bist so ein Kind«, doch dann musste ich grinsen und riss den Mund weit auf, um ihm den zerkauten Schinkenspeck zu zeigen, und er streckte mir lachend die Zunge raus.
    ***
    In jenem Winter fragte mich Peter in der Küche, während meine Mutter Knabbereien kaufen war, wie meine Freundinnen denn so seien. Lächelnd schilderte ich ihm in aller Ausführlichkeit, dass Winnie die intelligenteste war, Irene die Beschützerin und Grace die Schönheit. »Und was ist mir dir?«, fragte er, und ich erklärte, ich sei die Unterhalterin. Ich erzählte meinen Freundinnen Geschichten und spielte Rollen nach, die ich im Fernsehen gesehen hatte. Ich war diejenige, die große Pläne schmiedete, auch

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