Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger
Leidenschaft begegnen; man musste penetrant kindlich und gleichzeitig erkennbar weiblich sein; man musste so tun, als erwarte man nichts, während man sich tatsächlich mit nicht weniger als allem zufriedengab; jeden, den man sah, musste man necken, becircen, anflirten, anschmachten, angurren, erregen.
Den meisten Männern gefielen diese Eigenschaften, nur Peter nicht. Manchmal hatte es den Eindruck, als fände er fast alle Frauen vulgär und falsch. Er hasste lange Fingernägel, insbesondere falsche, Wimperntusche und grellen Lippenstift. Er hasste Netzstrümpfe, Dauerwellen, falsche Wimpern, auffällige Ketten. Er hasste lange Ohrringe und Kreolen, eigentlich alle Ohrringe, die nicht klein und unauffällig waren. Er hasste jeden BH, der nicht rosa oder weiß war. Er hasste Sport-BHs. Er konnte die Farbe Rot nicht ausstehen. Er mochte keine Schuhe mit Puscheln darauf, so wie sie im East Village verkauft wurden. Und ganz besonders hasste er hohe Absätze.
»Turnschuhe«, sagte er. »Die sind sexy. Oder barfuß. Aber bestimmt keine Schuhe, mit denen man einen Kerl erstechen kann.«
Er mochte keine großen Brüste. Meine, sagte er, hätten eine schöne Größe, und er hoffte, sie würden nicht weiter wachsen. Ich glaube, insgeheim hätte er sie lieber kleiner gehabt. Er wollte, dass ich mir den Schambereich komplett rasierte. Dafür durfte ich seinen elektrischen Rasierer benutzen. Er konnte Mädchen nicht verstehen, die sich ein Dreieck stehen ließen oder andere Formen ins Schamhaar schnitten. Ihm waren Piercings oder jegliche Tätowierungen fremd, egal ob bei Männern oder Frauen. Er fragte sich, warum man die edelste Schöpfung Gottes verschandeln wollte: den menschlichen Körper. Besonders Mädchen. Warum färbten sie sich die Haare? Warum zogen sich einige die Augenbrauen nach? Er begriff nicht, wie Frauen Kurzhaarfrisuren tragen konnten. Ebenso wenig gefiel ihm die neueste Damenmode mit Männerhemden und Krawatten.
Peter entwickelte die sonderbare Angewohnheit, im Vorbeigehen Mädchen und Frauen zu beurteilen, indem er irgendwelche Noten flüsterte: »Das ist eine Acht.« »Die da mit dem Collie, das ist eine Sechs.« »Da drüben stehen zwei Fünfen am Briefkasten.« Bei Frauen über dreißig machte er sich nicht die Mühe, aber runter ging er bis zu vierjährigen Mädchen. Jedes Mal, wenn er eine Fremde beurteilte, schob er ein, dass ich eine perfekte Zehn sei, was mich glücklich machen sollte, aber nicht immer funktionierte, weil ich mir Sorgen machte, dass ich eines Tages in seiner Bewertung sinken könnte. Ich konnte zunehmen, meine Brüste könnten größer werden, ich konnte noch wachsen. Nein, nein, versicherte ich mir, dazu würde es nicht kommen. Ich hatte mich früh entwickelt und meine endgültige Größe schon erreicht. Hoffentlich war alles, was mich in seinen Augen weniger wertvoll machen konnte, bereits überstanden.
***
So kam Nina ins Spiel. Sie entstand durch die Beobachtung von Frauen wie Jessenia, Linda, Amber und Vanessa und wurde durch das abgerundet, was Peter gefiel und was nicht. Ich erdachte mir eine Quintessenz all dieser Frauen, dazu kamen die, mit denen Poppa im Laufe der Jahre in der Bar geflirtet hatte, wenn meine Mutter krank war und wir in die Stadt gegangen waren. Nina war alles, was meine Mutter nicht war. Neckisch, robust und attraktiv, nicht böse, sondern unanständig, nicht kühl, sondern verrucht. Sie war ein heißer Ofen; sie war Butter. Eine echte Sexgöttin. Nina war eine Schlampe. Wenn sie keine Schlampe gewesen wäre, hätte Peter sich bei einigen Sachen, die er tat, vielleicht schlecht gefühlt. Oder Schuldgefühle gehabt.
In dem Sommer, als ich dreizehn war, bastelte ich mir Nina zusammen – die Quintessenz der Weiblichkeit. Sie war so cool, sie war gelangweilt. Sie war eine Papierpuppe. Sie war Klebstoff. Sie war von innen hohl. Sie war wunderschön. Sie war jünger als ich, älter als ich. Reif wie ein Maisfeld, doch ewig wie der Regen. Sie war ich. Und sie war es nicht. Ihr Haar war kohlrabenschwarz, wie das von Jessenia und Justine. Sie war ausgestopft. Sie war ein Totem. Man konnte sie in alle Richtungen dehnen, sie riss nicht. So hart war sie. Hart im Nehmen. Sie hatte keine Liebe in sich, nur unendliche Liebenswürdigkeit. Geduld. Leichtigkeit und Witz. Und Sorglosigkeit. Am meisten in Bezug auf sich selbst. Ihr Körper war ihr egal, weil sie nicht in ihm wohnte. Er war so schön, dieser enge, heiße, perfekte Zehnerkörper, sie konnte ihn von der
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