Tigerlilie - Paul, I: Tigerlilie
Feigling! Er wollte abwarten, bis sie sich beruhigt hatte. Doch wenn er glaubte, das ließe sie mit sich machen, täuschte er sich gewaltig! Für wen hielt er sich? Dachte er, sie würde sich damit abfinden, betäubt und verschleppt zu werden?
Sie zwang sich zu einem süßlichen Lächeln. „Es ist sehr wichtig für mich, ihn sofort zu sprechen!“
Der kleine Chinese musterte Anna forschend. „Ich trage ihm Euer Anliegen vor. Bis dahin kümmert Bao sich um Eure Belange!“
Kits Leibdiener verließ die Kammer. Hinter ihm drehte sich der Schlüssel im Schloss.
Anna ließ sich auf das Bett zurücksinken. Eingesperrt wie eine Galeerensklavin! Als ob sie fliehen könnte, mitten auf hoher See.
Bao starrte Anna an wie ein verschrecktes Reh, und sie lächelte der eingeschüchterten Chinesin zu. Bao verdiente von allen Menschen an Bord am wenigsten Annas Zorn.
„Nun, wie vertreiben wir beide uns die Zeit? Kennst du ein nettes Spiel?“
Bao erwiderte Annas Lächeln zögernd.
In der Ferne türmten sich graue Wolken auf. Wind wehte. Anna stand am Schiffsbug und starrte in die Richtung des drohenden Unwetters.
„Lady Munthorpe, Ihr solltet unter Deck gehen!“ Der Kapitän, ein dunkelhäutiger Orientale, tauchte neben Anna auf. Sie sah ihn an, seine dattelbraunen Augen ruhten ohne erkennbare Gefühlsregung auf ihr.
„Ich glaube, wir wurden einander nicht vorgestellt.“
„Ich bin Malik, der Kapitän.“
„Dann gehört Euch das Schiff, Mr. Malik?“
„Nur Malik. Nein, das Schiff ist im Besitz von Lord Munthorpe“, erklärte der Mann und verschränkte seine Hände hinter seinem Rücken. „Mylady, ich bitte Euch inständig darum, in Eure Kajüte zurückzukehren. Wenn der Sturm hierher zieht, kann es an Deck gefährlich werden.“
Anna drehte sich ein letztes Mal in Richtung des Windes. Sie ließ die salzigen Böen in ihr Gesicht peitschen, atmete den Geruch nach Weite und Meer ein, ehe sie sich dem Kapitän zuwandte. „In Ordnung.“
Sie nickte Malik zum Abschied zu und kletterte mit gerafften Röcken unter Deck. Salzwasser spritzte in ihr Gesicht, und sie kletterte blind die Stiegen hinab. Blinzelnd lief sie den Gang entlang und prallte unverhofft auf einen Männerkörper.
„Entschuldigung“, murmelte sie. Dann erkannte sie den Mann am Geruch. Sie wischte über ihre Augen und sah sich Christopher gegenüber.
Er trug asiatische Kleider und das Haar zu einem Zopf geflochten. In der Dunkelheit leuchteten seine Augen wie die einer Katze.
„Du!“, stieß Anna hervor und verpasste ihm einen Stoß vor die Brust.
Prompt schlang Christopher seine Arme um sie und küsste sie wild und leidenschaftlich. Wissend, dass jegliche Gegenwehr nutzlos wäre, ließ Anna es geschehen.
Daraufhin löste Christopher seinen Griff und wirkte enttäuscht.
„Anna.“ Seine Stimme jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Auf ihren Lippen lag noch die Wärme seiner Berührung. Sie unterdrückte die Gefühle und funkelte ihn zornig an.
„Der Entführer wagt sich endlich aus seinem Versteck!“
Verletzt sah Christopher sie an. „Du hast mir keine andere Wahl gelassen. Warum bist du einfach davongelaufen?“
„Warum?“ Anna schnappte empört nach Luft. „Ich mag etliche meiner Grundsätze wegen dir verraten haben, aber eines werde ich nie: Einen Verbrecher decken! Du wolltest Opium schmuggeln!“
Verwirrt runzelte Christopher die Stirn. „Ich möchte wissen, wie du auf den Gedanken kommst, ich sei ein Opiumschmuggler?“
„Ich habe meine Quellen“, erklärte Anna. „Wie kannst du nur, Kit? Bist du durch kriminelle Machenschaften zu Reichtum gekommen?“
Er drängte Anna an die Wand, seine Hände links und rechts neben ihrem Kopf abgestützt.
„Ich dachte, du kennst mich“, sagte er leise. „Ich verachte den ton und seine unsinnigen Regeln, ich mag es, als verrucht und gefährlich zu gelten. Aber niemals täte ich etwas, das anderen ernsthaft Schaden zufügt. Du kennst meine Meinung zu Opium und Laudanum. Hältst du mich für so skrupellos?“
Christophers Augen wirkten ehrlich.
Anna war verwirrt. Mit einem Mal hielt sie die Gerüchte für absurd. Christopher mochte vieles sein, aber ein Lügner war er nicht.
„Ich … ich habe dich belauscht“, erklärte sie und leckte sich über ihre trockenen Lippen.
Christopher beugte sich vor und liebkoste die empfindsame Stelle unter ihrem Ohr.
„Wann?“, murmelte er und begann, sacht an ihrem Ohrläppchen zu knabbern.
„Am Tag, als ich
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