Tigermilch
Ahnung, wie der heißt, jedenfalls ist das ne reinrassige Schwuchtel, da kann Jameelah so viel baggern, wie sie will.
Mensch, so was kannst du doch nicht sagen. Wirst schon sehen, da geht heute noch was.
Du stehst aber nicht auf solche Typen, oder?
Kann dir doch egal sein, sage ich und boxe ihm in die Seite.
Von wegen, sagt Nico, packt meine Beine und wirft mich über die Schulter.
Ich kreische blöd rum, aber Nico lässt mich erst wieder vor der Haustür vom Viovic runter. Drinnen ist schon ordentlich was los, überall, wo man hinsieht, Leute, sogar Apollo und Aslagon sind da, sie sitzen auf einer riesigen Ledersofagarnitur im Wohnzimmer. Apollo hält eine Porzellanpuppe auf dem Schoß und schaukelt das Ding wie ein kleines Kind auf den Knien.
So eine hatte ich auch mal, sagt er, da war ich noch klein, meine Mutter hat sie kaputt gemacht.
Wieso, frage ich.
Weiß ich auch nicht.
Seine Unterlippe zittert.
Hast du vielleicht auch verdient, sagt Aslagon, nimmt die Puppe, wirft sie in eine Ecke und breitet eine große Papierrolle auf dem Wohnzimmertisch aus.
Hilf mir lieber, wir haben zu tun.
Ich bin noch immer ganz schön breit. Ich quetsche mich durch die überfüllte Küche bis zum Kühlschrank, hole mir ein Bier und gehe in den Keller. Der Proberaum platzt aus allen Nähten. Der Viovic hat ein paar Gogo-Tänzer auf der Bühne stehen, so süße dünne Jungs, die sich ausziehen, während der Viovic spielt. Vorn in der ersten Reihe hopsen Lukas und Jameelah rum. Ich versuche mich zu Jameelah durchzukämpfen, aber keine Chance, überhaupt, wahrscheinlich würde ich da jetzt sowieso stören, also bleibe ich an der Tür stehen und nehme einen großen Schluck Bier. Zum ersten Mal fällt mir auf, dass Lukas und Jameelah sich irgendwie ähnlich sehen, die gleichen dunklen Haare, die gleichen dunklen Augen. Außerdem erinnert mich Lukas an jemanden.
Immer wenn mein Bier leer ist, laufe ich hoch in die Küche und wieder runter, und immer, wenn ich wieder an der Kellertür stehe und Jameelah und Lukas sehe, denke ich, jetzt fällt es mir gleich ein. Ich komme aber nicht drauf, ich komme während des ganzen Konzertes nicht drauf, an wen Lukas mich erinnert, kann aber auch daran liegen, dass ich mittlerweise nicht nur breit, sondern auch echt voll bin.
Wir spielen jetzt unser letztes Lied, sagt Viktoria und haut dem Gogo-Tänzer neben ihr auf den Arsch, so wie Nico vorhin bei mir, du, gleich Backstage in meiner Garderobe, sagt sie, und alle grölen los.
Die Leute klatschen und johlen und schreien Zugabe, der Viovic verbeugt sich. Ich klatsche und schaue rüber zu Lukas und Jameelah, kann die beiden in der Menge aber nicht mehr erkennen. Stattdessen sehe ich Anna-Lena an der Wand neben der Bühne stehen. Entsetzt schaut sie auf die Tanzfläche, und als ich ihrem Blick folge, weiß ich auch, warum. Mitten in der Menge stehen Jameelah und Lukas und knutschen. Ich hopse hoch und klatsche wie wild für den Viovic, aber eigentlich nur für Jameelah, denn der Viovic hat so schlecht gespielt wie immer, und während ich klatsche, da fällt es mir plötzlich wieder ein, dass Lukas genauso aussieht wie der Junge auf dem Schwarz-Weiß-Bild, das bei Noura und Jameelah in der Vitrine steht, Jameelahs Bruder Youssef, und da höre ich auf zu hopsen, weil ich plötzlich so ein seltsames Ziehen im Magen kriege, aber das kann auch von dem vielen Bier kommen.
Das Haus ist brechend voll, der Viovic aber auf einmal verschwunden. In der Küche sieht es aus, als wäre der Boogieman da gewesen. Jemand muss versucht haben, Kuchen zu backen, dabei ist die Mehltüte explodiert. Die ganze Küche ist mit einer feinen weißen Mehlschicht bedeckt.
Wo ist der Viovic, frage ich einen Typen mit grünen Haaren, der am Küchentisch sitzt und aus einer Tupperdose Tiramisu mampft.
Die heizen mit dem Jaguar von ihrem Vater rum, sagt er und grinst, haben echt den Arsch offen, aber witzig, oder?
Ich gehe weiter ins Wohnzimmer. Das Erste, was ich sehe, ist die Porzellanpuppe, die kopfüber im baumelnden Kronleuchter hängt. Die langen Haare hat ihr jemand abgeschnitten, der Rock ist ihr übers Gesicht gefallen, darunter kann man ihre Unterhose sehen. Unter der Puppe auf dem Boden wälzen sich Apollo und Aslagon.
Du gemeiner Hund, schreit Apollo und zeigt auf die Puppe, wieso tust du immer so was, wieso machst du alles Schöne kaputt?
Das soll ein Zeichen sein, schreit Aslagon zurück, dafür, dass alles mal kaputtgeht, dass alles früher oder später
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