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Tigermilch

Tigermilch

Titel: Tigermilch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie de Velasco
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verfault.
    Hört doch mal auf, schreit Nico und macht die Terrassentür auf. Apollo und Aslagon verschwinden im Garten. Ich setze mich neben Nico auf die Couch. Kurz frage ich mich, ob Nico sich während der ganzen Zeit überhaupt mal vom Fleck gerührt hat oder ob er den ganzen Abend auf der Couch gesessen hat, vor ihm die Bong, auf dem Schoß den Koffer mit der Mischung. Ich nehme die Bong, stopfe ein Köpfchen, und als ich fertig bin mit Rauchen, rolle ich mich wie ein Frettchen neben Nico ein und bin sofort weg. Irgendwann, keine Ahnung, wie viel Zeit inzwischen vergangen ist, wird es im Wohnzimmer wieder laut.
    Getriebe im Arsch, mein Vater bringt uns um, sagt jemand, und mach mal einer die Musik leiser, die Scheißnachbarn stressen.
    Ich mache die Augen auf, mir ist schwindelig und kotzübel, das Scheißbier rumpelt wie blöde in meinem Magen. Um uns herum liegen schon die ersten Partyleichen, ich frage mich, wie lange ich wohl gepennt habe.
    Wo ist eigentlich Jameelah, denke ich und will aufstehen, kriege es aber nicht hin, da nimmt Nico mich einfach auf den Arm und trägt mich die Treppe rauf. Das Nächste, was ich mitbekomme, ist, dass ich weich auf eine Matratze falle.
    Hier, trink das, sagt Nico und hält mir ein Glas Wasser hin, danach geht es mir ein bisschen besser. Ich ziehe mir Strümpfe und Rock aus und lege mich unter das weiße Bettzeug.
    Danke, sage ich, und da beugt Nico sich zu mir und küsst mich. Ich küsse, so gut ich kann, zurück, denn mir ist immer noch schwindelig, ich fummle an seinem Gürtel herum, ich ziehe mir das T-Shirt aus, aber immer, wenn ich die Augen zumache, dreht sich alles.
    Scheiße, murmele ich, ich muss aufs Klo.
    Du musst pennen, Süße, sagt Nico und macht sich den Gürtel zu.
    Ja, aber ich muss erst noch mal aufs Klo.
    Auf dem Flur taste ich mich langsam an der Wand entlang, als mir plötzlich jemand entgegenkommt.
    Weißt du vielleicht, wo das Klo ist, will ich gerade fragen, da sehe ich, es ist Jameelah, die da vor mir steht, in einem viel zu großen Morgenmantel.
    Wo ist das Klo, ich muss sofort aufs Klo, sage ich.
    Da vorn, ich muss auch mal, sagt sie und schaut mich misstrauisch an, alles in Ordnung bei dir, du siehst echt scheiße aus.
    Ja, ich muss mir nur mal den Finger in den Hals stecken.
    Im Bad ist es schön kühl. Ich greife mir den längsten Kajalstift, den ich auf der Schminkablage finden kann, stecke ihn mir so tief wie möglich in den Hals und gehe vor der Kloschüssel in die Knie. Das ganze Scheißbier und die Nudeln mit Ketchup von zu Hause schießen ins Klo, weiß nicht, wann ich mich das letzte Mal so erleichtert gefühlt habe.
    Ich muss pinkeln, sagt Jameelah und zappelt neben mir rum, beeil dich.
    Schon fertig, sage ich, fülle einen Zahnputzbecher mit Wasser und hocke mich auf einen großen Wäschekorb.
    Was geht mit Lukas?
    Jameelah hebt den Daumen, während sie pinkelt.
    Der liegt da nebenan.
    Wo?
    Im Schlafzimmer vom Vater.
    Wie, der hat ein eigenes Schlafzimmer?
    Ja, der schnarcht so schlimm, deswegen. Was geht mit Nico?
    Nur geknutscht, aber mehr wird das heute nicht, bin zu dicht.
    Jameelah zieht ab, setzt sich auf den Klodeckel und verschränkt die Arme.
    Meinst du, es tut weh, fragt sie und schaut auf den Boden.
    Was?
    Na was schon.
    Ach so, weiß nicht.
    Meinst du, es blutet schlimm?
    Keine Ahnung, so was weißt du doch immer besser.
    Die Hälfte der Frauen blutet gar nicht.
    Siehst du.
    Ich will gerade die Tür aufmachen, da hält Jameelah mich am Arm fest.
    Nini, sagt sie, wenn es heute wirklich passiert, was mache ich denn dann mit dem Laken?
    Was meinst du, frage ich.
    Na wenn ich doch blute. Mit dem blutigen Laken, was mache ich damit?
    Als müsste sie in den Krieg ziehen, genau so schaut Jameelah mich an.
    Wir wissen doch, wie es geht, sage ich, wir haben doch geübt, an Fröschen und an Toten, wir haben doch alles geübt.
    Ja, sagt sie und zuckt mit den Schultern, aber trotzdem, jetzt ist alles anders.
    Du musst nicht, wenn du nicht willst, sage ich.
    Doch. Und es muss Lukas sein, unbedingt, sagt Jameelah, er hat doch das Tier für mich gefangen.
    Vielleicht tut es weh, vielleicht wird es bluten, vielleicht aber auch nicht, sage ich.
    Es ist wirklich ein bisschen wie im Krieg, denke ich, und wieso da noch nie jemand vorher draufgekommen ist. Krieg tut weh und blutet, aber Tarik hat mal gesagt, das Schlimme am Krieg ist nicht der Schmerz oder das Blut, sondern dass der Krieg die Menschen verändert und danach nichts mehr ist wie

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