Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tigermilch

Tigermilch

Titel: Tigermilch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie de Velasco
Vom Netzwerk:
und dass das doch keine echten Sommerferien sind, wenn Amir nie dabei ist. Vielleicht fängt Tarik jetzt auch an, Amir einzusperren, keine Ahnung, aber andererseits, wieso sollte er. Tarik will uns doch gar nichts Böses, er muss nur die Familie zusammenhalten, hat Amir gesagt, weil er der Älteste ist, der Älteste muss die Familie zusammenhalten, hat er gesagt, aber ich habe nur gedacht, was gibt es denn da noch zusammenzuhalten, ehrlich, ist doch eh schon alles zerfetzt, sogar zerfetzter als bei Jameelah oder mir.
    Am Abend kommt Jameelah vorbei. Mama ruft Noura an, um ihr zu sagen, dass Jameelah bei uns schläft. Dieses Mal stimmt es ja auch wirklich, zumindest halb. Wir ziehen unsere Schlafanzüge an und karren jede Menge Essen in mein Zimmer, da klingelt es an der Tür, und als ich aufmache, steht Amir vor mir.
    Kann ich kurz rein, fragt er.
    Mann, sage ich, habs schon tausendmal bei dir probiert.
    Ich hab nicht viel Zeit, sagt er.
    Ganz blass und dünn sieht er aus, seine Mundwinkel sind eingerissen, und der Fleck unter seinem Auge ist immer noch blau, überhaupt sieht er aus, als könnte gerade gar nichts an ihm verheilen. In der Hand hält er einen zugeklebten Reebok-Karton.
    Kannst du mir mal sagen, was los ist, frage ich, ich mach mir langsam echt Sorgen, aber anstatt mir zu antworten, nimmt er meinen Arm und zieht mich mit ins Badezimmer. Er lässt sich auf den Badewannenrand sinken und drückt mir den Karton in die Hand.
    Ich will, dass du hier drauf aufpasst, sagt er, wenn mir mal was passiert oder so, du musst den für mich aufbewahren.
    Was soll dir denn auf einmal passieren, Mann, mach mir keine Angst.
    Es geht nicht ums Sterben oder so, es ist alles in Ordnung. Also, passt du drauf auf?
    Sterben, wie es geht nicht ums Sterben, was soll das heißen?
    Jetzt komm mal runter, sagt Amir, war doch nur ein Beispiel, Mädchen, immer gleich Panik. Ich will einfach nur, dass du auf den Karton aufpasst, nicht aufmachen, egal, was passiert, einfach nur drauf aufpassen. Machst du das?
    Klar pass ich drauf auf, sage ich, aber trotzdem kannst du mir doch sagen, was los ist.
    Egal, was passiert, nicht aufmachen. Versprich es.
    Versprochen.
    Mach dir keine Sorgen, sagt Amir, ist alles gut.
    Alles gut, deine Mutter alles gut, sage ich, aber Amir steht einfach auf, murmelt ein Tschüs und lässt mich mit dem blöden Karton stehen. Jessi kommt angelaufen.
    Wer war das, fragt sie.
    Niemand, hau ab.
    Das war Amir, sagt sie, ich bin doch nicht blöd. Was ist überhaupt mit dem los, hat der Aids oder was? Der sieht immer so fertig aus.
    Nein, aber du kriegst bald Aids, wenn ich noch mal höre, dass du mit irgendwelchen Jungs im Freibad rumknutschst.
    Was?
    Hat Anna-Lena erzählt, neulich im Freibad. Ich weiß alles, merkst du?
    Ach so, sagt Jessi, das war doch nur der Pepi, sagt sie und kichert, den knutsch ich doch schon seit dem Kindergarten.
    Sie zeigt auf den Karton.
    Ist der von Amir?
    Geht dich nichts an.
    Sag, was da drin ist, schreit Jessi und wirft einen ihrer rosa Barbapapapantoffeln nach mir.
    Ruhe, brüllt Mama aus dem Wohnzimmer, sonst kommt ihr beide in den Suppentopf.
    Ich knalle die Tür zu meinem Zimmer zu.
    Wo warst du denn so lange, fragt Jameelah.
    Amir, sage ich und stelle den Karton aufs Bett, ich soll darauf aufpassen, falls ihm was passiert.
    Jameelah nimmt den Karton und schüttelt ihn. Drinnen rappelt was.
    Kapierst du das?
    Nee.
    Irgendwas stimmt da nicht, sage ich, aber man kriegt ja kein Wort aus ihm raus.
    Dem, der sich nicht helfen lässt, dem kann man auch nicht helfen, sagt Jameelah.
    Blödsinn.
    Doch, altes iranisches Sprichwort.
    Altes ironisches Sprichwort meinst du wohl.
    Jameelah grinst.
    Du bist die einzig wahre Königin der O-Sprache, weißt du das?
    Ja, aber das hilft Amir auch nicht weiter.
    Komm, du kennst doch Amir, sagt Jameelah, der lässt sich gern bitten. Eigentlich wartet er doch nur darauf, dass wir ihn ausquetschen. Morgen schnappen wir ihn uns, wirst schon sehen, wie der reden wird, wenn man ordentlich bettelt.
    Ja, sage ich, schiebe den Karton unter mein Bett und hoffe, dass Jameelah recht hat.
    Wir schauen Gilmore Girls und später, als Mama schon eingeschlafen ist, einen von Rainers Pornos, die sind zum Totlachen. Rainer denkt, er versteckt sie gut, unter dem losen Dielenbrett in der Kammer. In jedem schlechten Film wird Schweinkram unter losen Dielenbrettern versteckt, würde mich nicht wundern, wenn sogar Jessi Rainers Pornosammlung kennt.
    Als wir um kurz vor halb

Weitere Kostenlose Bücher