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Tigermilch

Tigermilch

Titel: Tigermilch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie de Velasco
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Frau in irgendeinem heißen Land die Straße runterjagen und dann gemeinsam umbringen, auch mit einem Messer, und genau so wie die in dem Video, genau so stehen Jameelah und ich vor Jasna, nur ohne Kamera dazwischen.
    An Jasnas rechtem Finger steckt der Verlobungsring.
    Der Ring, sage ich.
    Jameelah starrt weiter auf Jasnas weißen toten Körper. Den Becher mit der Tigermilch hält sie immer noch in den Händen. Wie sie es wohl geschafft hat, mit der Tigermilch und der Mülltüte runter vom Rutschehäuschen zu klettern, frage ich mich. Über uns singt eine Nachtigall, klingt grässlich.
    Der Ring, sage ich wieder.
    Halt die Klappe, sagt Jameelah, dann beugt sie sich über Jasnas Gesicht, zieht ihr mit zitternden Händen den Haarreifen aus den Haaren und versenkt ihn in der Tigermilch.
    Was machst du da, frage ich.
    Frag nicht, hilf mir, sagt sie, dann streicht sie Jasnas Haar zurück, greift hinter ihr Ohrläppchen, zieht ihr die riesigen goldenen Kreolen vom Ohr und versenkt sie in der Tigermilch.
    Los, sagt Jameelah, die Uhr, die Armreifen, die Ringe, alles, alles versenken, so wie immer, ist billig, verstehst du?
    Ich frage nicht. Ich hocke mich neben Jameelah und ziehe Jasna vorsichtig einen goldenen Armreifen ab, dann noch einen und noch einen, ich lasse sie alle nach und nach in der Tigermilch versinken. Schweigend arbeiten wir, ein Schmuckstück nach dem anderen verschwindet plumpsend im Becher, und als Jameelah kurz nicht hinschaut, da ziehe ich Jasna den Ring vom Finger. Er geht ganz leicht ab, weil er ihr eh zu groß ist, aber mir passt er, mir passt er genau.
    Komm, sagt Jameelah, weg hier.
    Wir stolpern den Sandweg runter bis zum Ausgang, das flappende Geräusch unserer Flipflops im Nacken. Wieso hat uns nie jemand gesagt, dass das hier passieren kann, frage ich mich, wieso hat uns nie jemand gesagt, dass das hier passieren kann.

Als ich den Schlüssel ins Schloss geschoben habe, ist mir aufgefallen, dass meine Hand wie irre gezittert hat. Ich habe solche Angst gehabt, dass Jessi uns hören könnte, dass sie mit ihren Barbapapapantoffeln im Flur stehen und Fragen stellen würde, also habe ich versucht, so leise wie möglich aufzuschließen. Jessi hat bei Mama auf dem Sofa gelegen, alle viere von sich gestreckt, die Pantoffeln und ihren Bademantel an, und Mama hat leise geschnarcht.
    Wir sind in mein Zimmer und haben unsere Schlafanzüge angezogen.
    Mir ist kalt, hat Jameelah gesagt, da bin ich in die Küche und habe Milch warm gemacht, und währenddessen dachte ich die ganze Zeit, an mir würde Blut kleben, es war aber nur Einbildung, sah nur so echt aus, weil auf meinem Schlafanzug überall kleine rote Herzchen drauf sind. Ich bin ins Bad und habe meine Hände gewaschen, zwei-, dreimal, dann war die Milch warm, und Jameelah und ich, wir haben sie im Bett getrunken.
    Ich habe nicht geschlafen, nur so getan, als ob, und Jameelah auch nicht, das weiß ich genau, sie lag viel zu still und klein da, ganz anders als sonst. Ich habe es getan, um Jameelah zu beruhigen, und sie, ich weiß nicht, vielleicht auch.
    Einmal bin ich auf Klo gegangen, dabei musste ich gar nicht. Ich habe mich auf den Badewannenrand gesetzt und den Ring betrachtet. Der grüne Stein in der Mitte war gar nicht wirklich grün, eher dunkelgrün, fast schwarz, aber, habe ich gedacht, das kann auch das Alter sein, das ist vielleicht wie mit Menschen, wenn man sich so lange nicht gesehen hat, erkennt man sich auf den ersten Blick auch nicht gleich wieder. Ich wollte den Ring ausziehen und in den kleinen Korb im Regal legen, damit Mama ihn finden kann, aber der Ring ist nicht abgegangen, also habe ich meine Hände unter Wasser gehalten und den Ring vom Finger runtergeseift, aber danach habe ich ihn doch wieder angezogen.
    Ich bin ewig nicht eingeschlafen, ich habe daran denken müssen, wie oft Jasna mir Zigaretten geschenkt hat oder Kaugummis, wie sie mir einmal Hennatatoos gemacht hat, wie wir unsere Hände in dem warmen roten Zeugs versenkt haben und es zwischen unseren Fingern hervorgequollen ist. Ich habe im Bett gelegen und gedacht, warum uns nie jemand gesagt hat, dass so was passieren kann, und dass es einfacher für mich gewesen wäre, wenn Jasna geschrien hätte, dann hätte ich gewusst, das ist Jasna, sie hat die Welt mit ihrem Geschrei zerspringen lassen, es gibt Menschen, die können das, das habe ich mal im Fernsehen gesehen, aber Jasna hat nicht geschrien, sie hat nur ein bisschen gestöhnt. Mir ist eingefallen, dass, als ich

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