Tigermilch
Packung Kremalis, die mit der Erdbeerfüllung.
Du warst nicht bei der Polizei, fragt Jameelah, oder?
Nein, sage ich und reibe mir die schmerzende Hüfte.
Bist du noch sauer?
War ich nie, sage ich und zeige auf das Heft, was ist das?
Fragen für den Deutschtest. Kannst du mich abfragen?
Lernst du jetzt schon für die Schule? Du spinnst echt.
Quatsch, für diesen Test, den man machen muss, wenn man Deutsche werden will.
Ach so. Musst du die können?
Nee, jetzt noch nicht, aber demnächst vielleicht mal, da lerne ich schon mal in den Ferien, wo ich Zeit habe, verstehst du.
Ehrlich gesagt verstehe ich es nicht so wirklich, aber bevor ich das sagen kann, kommt Jessi in den Flur. Sehnsüchtig schaut sie auf die Kekspackung.
Darf ich einen, fragt sie, richtige Stielaugen kriegt sie.
Hör auf, sage ich.
Ich hab aber so Hunger.
Komm, ich mach dir ein Brot, sage ich, aber Jessi sagt, es gibt kein Brot. Jameelah reißt die Kekspackung auf.
Hier, sagt sie, und reicht Jessi einen Haufen Kekse.
Danke, sagt Jessi, den Arm voller Kekse läuft sie zurück ins Wohnzimmer, kurz darauf plärrt der Fernseher.
Wo ist deine Mutter, fragt Jameelah.
Keine Ahnung.
Ich starre auf das Durcheinander in der offen stehenden Schublade, leere Batterien und Feuerzeuge, verheddertes Nähgarn, eingetrocknete Nagellackfläschchen, dazwischen lauter Überraschungseierfiguren, Schlümpfe, Kung-Fu-Pandas und Entenhausener liegen wie im Koma auf dem Schubladenboden und umarmen Büroklammern oder alte Zehnpfennigstücke. Ganz hinten liegt eine Strickliesel, ihr quillt eine halb aufgeribbelte Strickwurst aus dem Lieselhintern. Deswegen, denke ich, genau deswegen ist Papa abgehauen, weil Mama, ihr Sofa, der Kühlschrank, die Betten, die Luft hier drin, alles genau so wie das Zeugs in der Schublade, verdreckt, verheddert und sinnlos, das weiß ich genau, ich wusste das auch schon früher, als Papa noch da war, nur sagen konnte ich es nicht.
Ist doch alles scheiße, sage ich und reiße die Schublade aus der Halterung. Der ganze Kram prasselt auf den Boden, wie ein Gewitter klingt das, eins, auf das alle den ganzen Tag über schon gewartet haben.
Was ist denn los, fragt Jameelah, legt die Kekse und das Heft auf die Kommode und hockt sich neben mich auf den Boden.
Nichts, ich suche den Kellerschlüssel, der ist eigentlich da drin.
Meinst du den hier, fragt Jameelah und zeigt auf was Glänzendes.
Komm mit, sage ich und schnappe mir den Schlüssel, du musst mir helfen. Danach frage ich dich ab.
Ich gehe nicht gern in den Keller, ich meine, wer tut das schon gern, aber unser Keller ist besonders gruselig, weil das Kellerlicht nur bis auf den Hauptgang leuchtet, hinten bei unserem Verschlag ist es stockdunkel.
Gib mir mal dein Handy.
Ich schließe auf und leuchte mit Jameelahs Handy in den Keller. Es riecht nach faulem Heizungswasser und verschimmelten Klamotten, vorne rechts liegt ein Haufen alter Kohlen, die sind noch von früher, dabei haben wir jetzt schon ewig Fernwärme. An den Wänden stapeln sich aufgeweichte Umzugskartons, aus ihnen quillt Mamas alte Wäsche, daneben Rainers Sammlung unnützer Haushaltsgeräte. Kein Wunder, dass sie alle nach und nach hier gelandet sind, Poffertjespfannen und Nachowärmer, als hätten wir jemals selbst gemachte Poffertjes oder Nachos bekommen. Wie oben, so unten, hat das nicht Jesus oder so jemand gesagt, genauso ist es, wie oben in der verdammten Kommodenschublade, so unten in unserem modrigen Keller, denke ich und stolpere dabei über mein altes Bobbycar, am kaputten Planschbecken vorbei nach hinten durch bis zum Barbiehaus. Im Wohnzimmer sitzt die Barbie, die damals den Kaugummi für mich aufgehoben hat, irgendwie beruhigt mich das, so als würde sie den Keller bewachen, sie ist der Hausmeister, wahrscheinlich der einzige Hausmeister auf der Welt, der nichts außer einem goldenen Badeanzug trägt.
Suchen wir was Bestimmtes, fragt Jameelah. Sie hustet.
Ja, das da, sage ich und zeige auf einen alten Gitarrenkoffer, der sich hinter dem Barbiehaus unter einer dicken Staubschicht versteckt hat.
Wusste gar nicht, dass jemand von euch Gitarre spielt.
Tut auch keiner, sage ich und hieve das Ding aus der Ecke, mein Vater hat gespielt, seine Gitarre hat er mitgenommen, aber den hier, sage ich und klopfe auf den Koffer, den hat er vergessen.
Gemeinsam tragen wir den Koffer nach oben.
Jameelah stöhnt.
Was ist da bitte drin, fragt sie.
Da tue ich alles rein, was ich nicht mehr haben will, aber
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