Tigermilch
auch nicht wegschmeißen kann.
Wir schleifen den Koffer in mein Zimmer. Bis an die Kante ist er mit Zeugs vollgestopft, auch nicht viel besser als die Kommodenschublade. War ja klar, ganz unten, zwischen alten Steckbriefheften und meinem Poesiealbum liegt ein Bündel Postkarten, da drin ist die Geburtstagskarte, und darunter liegt die CD .
Bodyguard, sagt Jameelah und kichert, gib mal her.
Sie geht zum CD -Player und macht die CD rein. Vorn auf der Geburtstagskarte sind Luftballons drauf, auf den Luftballons sitzen süße Mäuse, keine Diddlmäuse, normale Mäuse auf vier Pfoten. Die Mäuse schauen Schmetterlingen und Marienkäfern hinterher, und mit den langen Mäuseschwänzchen formen sie Buchstaben, Happy Birthday steht da.
Ist das die Karte?
Ja, sage ich, aber keine Adresse dabei, den Umschlag muss Mama wohl doch weggeschmissen haben.
Wieso Adresse, fragt Jameelah, willst du ihm schreiben?
Hatte ich überlegt.
Hast du nicht mal im Netz nach ihm gesucht?
Ja, aber da war nichts. Da waren so viele mit seinem Namen, über 900 000 Treffer.
Gib mal die Karte, sagt Jameelah und stopft sich einen Keks in den Mund. Im Hintergrund singt Whitney Houston I will always love you. Jetzt bloß nicht heulen, denke ich und schlucke einmal kräftig.
Vorsicht, mit deinen Erdbeerfingern, sage ich.
Ist ja schon gut.
Jameelah schlägt die Karte auf und runzelt die Stirn.
Das kann doch kein Mensch lesen, sagt sie, diese Schrift, was soll denn da stehen?
Keine Ahnung, ich hab Mama damals gefragt, ob sie es mir vorlesen kann, sie wollte aber nicht, hat sich geweigert, sage ich und schaue auf das Gekrakel, typisch Erwachsenenschrift, man kann wirklich kein einziges Wort entziffern. Jameelah kneift die Augen zusammen, beugt sich über die Karte und fährt mit dem Finger die Krakelschrift entlang.
Wach es? Nee, wach es macht keinen Sinn. Mach es vielleicht? Genau, mach es und dann wie die, und das Nächste kann man wieder nicht lesen.
Ich nehme Jameelah die Karte aus der Hand.
Sauna oder so was, sage ich, mach es wie die Sauna? Nee, Quatsch.
Sonne, Sonnenuhr, mach es wie die Sonnenuhr, sagt Jameelah, ach so, dann weiß ich, was da steht.
Was denn?
Da steht mach es wie die Sonnenuhr, zähl die heitren Stunden nur. Hab ich mal irgendwo gelesen, ist so ein Spruch. Siehst du, das passt auch von den Wörtern, sagt Jameelah und zeigt auf die zweite Zeile.
Stimmt, sage ich, und darunter alles Liebe, Papa. Das war das Einzige, was ich schon früher lesen konnte.
Wieso schreibt jemand so was auf eine Geburtstagskarte, sagt Jameelah.
Was?
Na, mach es wie die Sonnenuhr.
Weiß nicht, ist doch nur so ein Spruch.
Deine Mutter nur so ein Spruch, einfach so mir nichts, dir nichts abhauen, aber seiner Tochter sagen, sie soll einen auf Sonnenuhr machen. Find ich scheiße.
Meinst du?
Mein ich. Hast du ein Foto von ihm?
Ich stehe auf und will meine Fotokiste unterm Bett hervorziehen, da sehe ich, Amirs Karton steht noch dort, und dass ich ihn wegschmeißen sollte, habe ich auch ganz vergessen, und dass ich das später erledigen muss, denke ich, wenn Jameelah wieder weg ist, weil wenn sie das mitkriegt, will sie den Karton sicher doch noch aufmachen oder so was, das würde zu ihr passen.
Ich ziehe die Fotokiste unterm Bett hervor, hier, sage ich und halte Jameelah ein Foto hin.
Papa hat mich auf dem Schoß und spielt mit dem, der das Foto gemacht hat, Schach. Ich weiß genau, Mama hat das Foto gemacht. Wenn ich das nicht so genau wüsste, würde ich niemals auf die Idee kommen, dass Mama irgendwann mal Schach gespielt hat. Mama und Schach, das ist ungefähr so weit voneinander entfernt wie, weiß ich was, das Weiteste, was es voneinander entfernt überhaupt geben kann.
Noch nie gesehen, sagt Jameelah und starrt auf das Foto.
Klar noch nie gesehen, wo denn auch?
Weiß nicht, an der Kurfürsten zum Beispiel.
Jetzt reichts aber, sage ich und reiße ihr das Foto aus der Hand.
Stell dir vor, sagt Jameelah, stell es dir einfach nur mal vor, wir, an der Kurfürsten, hocken da auf unserem Stromkasten rum, und plötzlich kommt dein Vater vorbei, das wärs.
Das wärs überhaupt nicht, sage ich, hör auf damit.
Ist ja schon gut, sagt Jameelah.
Deine Mutter ist ja schon gut.
Vorsichtig nimmt sie mir das Foto wieder ab und betrachtet es lange.
Sei froh, sagt sie, du hast wenigstens noch einen Vater. Meiner kann nirgendwo mehr auftauchen, noch nicht mal an der Kurfürsten.
Davon habe ich auch nichts. Wenn man nichts vom anderen
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