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Tigermilch

Tigermilch

Titel: Tigermilch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie de Velasco
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immer an der Stelle mit mir rumgetragen habe, wo andere Leute Fotos von ihrer Familie aufbewahren. So viele Gummis, die Jameelah und ich schon aufgerissen haben, zuerst allein bei ihr im Zimmer, dann im Bad, Wasser reingefüllt, aus dem Fenster geworfen, wenn wer vorbeikam, dann über Gurken und Barbies gestülpt, bis das mit der Kurfürsten anfing. Ich schaue auf das Haltbarkeitsdatum, dann schmeiße ich das Gummi ins Klo. Selbst wenn es noch nicht abgelaufen gewesen wäre, denke ich, Gummis sind was für Kinder und Nutten, und ich bin weder das eine noch das andere.
    Ich krieche zurück zu Nico ins Bett. Ich lege mich auf den Rücken, sodass Nico sich auf mich legen kann, glaube kaum, dass wir es gleich beim ersten Mal irgendwie anders tun werden.
    Leise, flüstere ich, bevor er anfängt.
    Dieses Mal kriege ich alles mit, weil ich nicht so weggetreten bin wie beim letzten Mal. Dieses Mal tut es ganz schön weh, stechend, aber gleichzeitig, wie wenn man sich was klemmt. Die lila Wendeltreppe ist wieder da, wieso ich die wohl sehe, wenn ich mit jemandem schlafe, das habe ich vergessen Jameelah zu fragen. Vielleicht ist das die Treppe, die raus aus der Kindheit führt. Da oben ist die richtige Welt, oder die falsche, die verfaulte, jedenfalls tut es weh. Ich beiße, ohne es zu wollen, die Zähne zusammen, der Schmerz von unten mischt sich mit dem Schmerz von oben im Kiefer, irgendwie ist es schön, keine Ahnung, klingt bescheuert, ist aber wahr. Vielleicht ist das der Schmerz, von dem Rainer immer spricht, wenn er uns zum hundertsten Mal seine erbärmlichen Tätowierungen zeigt, und da muss ich noch mal an den im Rollstuhl denken, an das, was er gesagt hat über Gewalt, das kapiere ich jetzt erst so wirklich, was der versucht hat, uns zu verklickern. Der im Rollstuhl hat recht. Gewalt ist nicht der Schmerz an sich, sondern wenn derjenige, der ihn dir antut, dir wirklich was Böses will. Der im Rollstuhl war gar nicht so blöde, und dass er nicht so blöde war, tröstet mich irgendwie.
    Ich blute, diesmal blute ich so sehr, dass ich das ganze Laken einsaue. Nico erschreckt sich total.
    Das ist normal, sage ich.
    Ich weiß, sagt er, aber trotzdem.
    Hilf mir, sage ich.
    Gemeinsam ziehen wir das Laken ab, ich lasse es in der untersten Schrankschublade verschwinden. Wir kriechen zurück ins Bett. Nico drückt mich fest an sich. Draußen geht eine Sirene, Feuerwehrautos fahren auf der Argentinischen Allee vorbei.
    Ich soll dich übrigens von Amir grüßen, sagt Nico.
    Wie, sage ich und sitze plötzlich wie eine Eins im Bett, warst du noch mal da?
    Nein, ich hab ihn angerufen.
    Angerufen? Woher hast du seine Nummer? Ich will ihn auch anrufen.
    Kannst du ja auch machen.
    Ich springe aus dem Bett.
    Jetzt doch nicht, sagt Nico, ist schon viel zu spät.
    Wieso, Amir schläft bestimmt noch nicht.
    Komm mal wieder runter, flüstert Nico und drückt mich sanft zurück aufs Bett, du kannst da nur zu bestimmten Zeiten anrufen. Wir rufen morgen an. Und außerdem habe ich noch was für dich.
    Für mich? Was denn?
    Nur, wenn du dich wieder beruhigst.
    Na gut, sage ich und lasse mich zurück in die Kissen fallen.
    Nico steht auf, sucht etwas in seiner Hosentasche und versteckt es in der Hand. Ich muss grinsen.
    Ich habs gesehen, sage ich.
    Hast du nicht, sagt Nico.
    Stimmt, habe ich nicht.
    Augen zu, sagt er und fummelt an meinem Finger rum.
    Mein Herz fängt wie irre an zu schlagen, so von nirgendwoher.
    Jetzt, sagt er.
    Ich mache die Augen auf und schaue auf meine Hand. Da steckt der Ring, Jasnas Ring, Mamas Ring, Papas Ring, drei Steine, zwei kleine weiße und dazwischen ein grüner Stein.
    Ich weiß, ist vielleicht ein bisschen drüber, sagt Nico, gefällt er dir trotzdem?
    Ich schaue zu Nico und wieder auf den Ring und wieder zu Nico.
    Woher, flüstere ich, wo hast du den her?
    Ich hab ihn gefunden, sagt Nico, unten an der S-Bahn, stört dich das? Ich war beim Fundbüro, aber nach zwei Wochen hatte ihn immer noch keiner abgeholt, da durfte ich ihn wieder mitnehmen. Ich war damit beim Juwelier, der ist echt.
    Ich weiß, sage ich und schaue wieder auf den Ring.
    Langsam fängt meine Hand an zu zittern, am Anfang noch ganz leicht, dann aber immer stärker, das Zittern geht von der Hand hoch zu den Armen in die Schultern und runter zum Bauch in die Hüften bis in die Beine, mein ganzer Körper wird durchgeschüttelt, ich kann gar nichts dagegen tun, es ist wie bei einem Erdbeben oder einem Gewitter, jedenfalls Naturkatastrophe.
    Was

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