Tigermilch
irgendjemand gesehen hat?
Wer soll uns denn gesehen haben?
Weiß ich wer, kann doch sein. Wenn ja, dann wäre das Beihilfe zum Mord, dafür geht man in den Knast.
Wo hast du das denn her?
Nichts, ist mir gestern Nacht so eingefallen.
Gestern Nacht?
Jameelah schaut mich misstrauisch an.
Du hast Nico doch nichts erzählt, oder?
Quatsch, was denkst du denn, sage ich und fummle an der Bettdecke rum, ich mache lauter kleine Falten hinein, schaue aus dem Fenster, auf die Bettdecke, aus dem Fenster, auf die Bettdecke, aus dem Fenster, in der Spiegelung kann ich sehen, wie Jameelah auf ihren Nägeln rumkaut, sie spuckt Lacksplitter auf den Krankenhausboden, holt ihren Schlüsselbund raus, fummelt damit am Nagelbett rum, aber dann schaut sie plötzlich zu mir rüber und strahlt über das ganze Gesicht.
Ich habs, sagt sie.
Was?
Ficklinge.
Was?
Ficklinge. So heißen Freundinnen, die am selben Tag entjungfert wurden.
Finde ich blöd, sage ich.
Findest du gar nicht, das sagst du jetzt nur so daher.
Tue ich nicht.
Tust du wohl.
Ach leck mich doch.
Ich gehe rüber zum Fenster und schaue raus in den Park.
Der Spielplatz ist wieder offen, sagt Jameelah.
Echt?
Ja, vorgestern haben sie die Absperrung weggemacht.
Kross.
Jameelah schaut auf die Uhr.
Ich muss los, ich bin mit Lukas verabredet. Wollte dir nur schnell die Neuigkeiten erzählen.
Klar. Machs gut.
Ich bleibe am Fenster stehen. Eine Weile später sehe ich Jameelah durch den Park laufen, sie rennt zwischen den Bäumen hindurch, ein kleiner schwarzer hopsender Punkt. Ich lege mich unter die Bettdecke und versuche zu schlafen, aber das geht nicht. Ich versuche so zu tun, als ob, ich stelle mich schlafend, so wie das verbrannte Mädchen, so wie Mama, wenn sie auf dem Sofa liegt und auf ihre Insel reist, so wie Papa, wenn er sagt, die Verbindung ist schlecht, ich bin im Zug und dann einfach auflegt, das ist genauso wie Sich-schlafend-Stellen, das kann ich auch, wenn Mama und Papa das so gut können, dann ist es vielleicht ein Gen, das ich auch benutzen kann. Einen Schlafenden kann man aufwecken, aber jemanden, der nur so tut, als ob, den kriegt man niemals wach, denke ich, ich denke es nicht normal, sondern immer wieder von vorn, wie die Katholiken, die immer dieses eine Gedicht aufsagen und das Beten nennen, oder wie diese orangefarbenen Inder, die sich mit dem Rücken auf Nägel legen und über glühende Kohlen gehen, die sagen auch immer wieder einen Satz vor sich her, deswegen müssen sie nichts essen und nichts trinken, weil es wie ein Zauberspruch ist, der einen schützt, es ist so wie Abrakadabra sagen und damit was erreichen, was in der normalen Welt eigentlich nicht geht.
Ich reiße die Augen auf und hole tief Luft, wie nach einem schlimmen Traum.
Ich muss hier raus, ich muss was machen, ich kann nicht warten, bis der Arzt kommt, ich zerre meinen Koffer unterm Bett hervor und packe so schnell wie möglich meinen Kram zusammen, dann schleiche ich mich durchs Treppenhaus, und von da in den Park und von da durchs Tor.
Mama, rufe ich, als ich die Wohnungstür aufschließe, aber Mama ist nicht da, stattdessen dröhnt aus dem Fernseher ohrenbetäubend laut Mister Bombastic. Im Wohnzimmer stehen Jessi und Pepi nur in Unterhosen und hüpfen auf Mamas Sofa auf und ab. Jessi hat sich vorn in die Unterhose was reingesteckt, aber ich kann nicht genau erkennen, was.
Mister Bombastic, singt Pepi und hüpft vom Sofa auf Rainers Sessel, Mister Bombastic, vorn hat er sich eine Mohrrübe reingesteckt, die orange Spitze schaut heraus. Neben dem Fernseher steht Amirs offener Karton.
Was ist hier los, schreie ich.
Pass auf, gleich, schreit Pepi und zeigt auf den Fernseher.
Erst jetzt merke ich, dass die Musik aus Rainers Stereoanlage dröhnt, und der Fernseher auf lautlos gestellt ist, ich schaue auf den Fernseher, aber da ist alles nur fleischfarben, was das bloß für ein Film sein kann, frage ich mich, und erst auf den zweiten Blick erkenne ich, dass das alles ganz nah gefilmtes nacktes Fleisch ist. Eine nackte Frau liegt auf einer Liege und lässt sich von einem sehr behaarten Mann den Oberkörper mit Öl einschmieren, dabei schiebt die Frau auf der Liege sich eine Haarbürste hinten rein. Ich merke, wie mir der Unterkiefer runterklappt, die Frau mit der Bürste stöhnt.
O mein Gott, ruft Jessi und hüpft wie ein Flummi auf dem Sofa herum, o mein Gott, und da sehe ich, das vorn in Jessis Unterhose ist eine Zucchini. Die Frau auf der Liege stöhnt wieder,
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