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Tigermilch

Tigermilch

Titel: Tigermilch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie de Velasco
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nie alleine Taxi gefahren, höchstens mal mit Rainer, aber Rainer hat heute zum Glück Spätschicht.
    Als ich vor der Klinik stehe, krame ich meinen Überweisungsschein aus der Hosentasche. Vorn am Eingang sitzt ein Mädchen, sie ist nicht viel älter als ich, vielleicht sechzehn oder so, aber sie sieht schon aus wie eine echte Krankenschwester, sie hat einen weißen Kittel an und darüber eine weiße Strickjacke. Sie hält mir ein Klemmbrett hin, da muss ich alles Mögliche ausfüllen. Als ich damit fertig bin, kommt eine andere, ältere Krankenschwester.
    Du bist ja viel zu früh, sagt sie, nimmt meinen Koffer und legt mir den Arm um die Schultern. Wir gehen gemeinsam den Gang runter. Die Wände sind von oben bis unten bemalt, aber nicht so wie von Nico, sondern so wie von kranken Kinder, denen langweilig ist, ein rosa Nashorn, ein gelbes Krokodil, ein lachender Krebs mit großen Scheren, ein bunter Clown und daneben ein Schwarzer, der zum Clown sagt, ich habe nichts gegen Farbige. Das ist der schlechteste Witz, den ich seit weiß ich wann gehört habe, aber wie ich so daran vorbeilaufe und die Sprechblasen lese, finde ich ihn irgendwie doch lustig, so schön harmlos.
    Die Krankenschwester stößt die Tür neben dem Clown auf, zwei Betten stehen in dem Zimmer. Das hintere am Fenster ist leer, im vorderen liegt jemand, ich kann auf den ersten Blick nicht erkennen, ob es ein Junge oder ein Mädchen ist, ich könnte wahrscheinlich schon, aber ich kann nur auf die Beine starren, die lenken von allem anderen ab. Sie sind verbrannt, kross verkohlt könnte man auf O-Sprache sagen, das wäre zwar etwas übertrieben, aber auf O-Sprache darf man übertreiben, O-Sprache ist sogar dazu da, dass man übertreibt, weil man O-Sprache entweder aus Spaß spricht oder weil Sachen viel zu kross sind, und normale Sprache nicht reicht, um das Krosse an bestimmten Sachen zu beschreiben, egal, jedenfalls sind die Beine verbrannt.
    Das hier ist deins, sagt die Schwester und zeigt auf das leere Bett, sie zieht die Vorhänge auf und öffnet das Fenster, Sonne fällt herein, ich muss blinzeln. Draußen ist ein großer Park mit vielen alten Bäumen, dazwischen Büsche, die weiß blühen, fehlt nur noch der See, dann wäre es sicher wie in Italien.
    So, sagt die Schwester, geht einmal ums Bett herum und schüttelt das Bettzeug auf, mal schauen, ob der Anästhesist schon Zeit für dich hat.
    Ich schaue wieder rüber zu dem anderen Bett.
    Wie ist das da passiert, frage ich.
    Die Schwester seufzt.
    Nylonstrümpfe. Streichhölzer und Nylonstrümpfe. Sie ist noch sehr schwach. Bis gestern lag sie auf der Intensiv.
    Sie geht zur Tür, dabei flappen ihre Krankenschwesterlatschen, sie klingen genauso wie meine Flipflops, nur in gesund. Als ich die Sachen auspacke und in den Nachttischschubladen verstaue, komme ich mir ziemlich erwachsen vor, aber anders als auf der Kurfürsten. Ich schaue rüber zu dem Mädchen. Gelb und rot sind die Wunden, zackig und spitz züngelt die dicke Kruste über ihre Beine, dazwischen große schwarze Flecken. Krankenhaus, das ist was Ernstes, damit spielt man nicht, und das finde ich gut, weil alle hier drinnen wissen, damit spielt man nicht. Als ich mich auf dem Bett ausstrecke, frage ich mich, ob hier in diesem Zimmer, in einem der beiden Betten, wohl schon mal jemand gestorben ist. Wäre doch gar nicht so schlecht, mit Blick auf den Park, die Sonne scheint einem dabei ins Gesicht, da gibt es wirklich schrecklichere Arten zu sterben. Die Leute haben keine Ahnung, wenn sie sagen, dass Krankenhäuser schlimme Orte sind, das sagen sie nur so leichtsinnig daher. Schon klar, das ist kein Spielplatz hier, aber wer ernsthaft behauptet, dass es auf Spielplätzen fröhlicher zugeht als im Krankenhaus, der muss einen an der Falafel haben.
    Es klopft.
    Herein, sage ich.
    Es ist Jameelah.
    Salam! Hotel Vier Jahreszeiten oder was, sagt sie und lässt sich neben mich aufs Bett fallen, konntest wohl nicht abwarten mit dem Check-in, was.
    Ich verschränke die Arme hinterm Kopf und grinse.
    Ist fast so gut wie Italien, sage ich.
    Warte mal das Essen ab, das ist meistens schlimm, sagt Jameelah und schaut rüber zum anderen Bett.
    Was ist denn da passiert, flüstert sie.
    Nylonstrümpfe, sage ich, und Streichhölzer.
    Ach was.
    Es klopft wieder. Drei Ärzte in weißen Kitteln kommen ins Zimmer. Den Chef erkennt man sofort, er ist der Größte, er sieht super aus, und er geht vorneweg.
    Guten Tag, sagt er und lächelt, ich bin Doktor

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