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Tigermilch

Tigermilch

Titel: Tigermilch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie de Velasco
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hast du, fragt Nico, es klingt irre weit weg.
    Ich schüttle den Kopf und schaue auf den Ring, ich sehe nur noch die kleinen Steine, Mama und ich sind die kleinen Weißen und Papa der große Grüne, denke ich, dann verschwimmt alles, und was Warmes läuft mir die Beine runter, aber das Warme zwischen meinen Beinen ist zum Glück nur Sperma.
    Was hast du denn, sagt Nico immer wieder.
    Nichts, sage ich und versuche mich zusammenzureißen, hol mal bitte Klopapier.
    Nico läuft ins Bad. Das verbrannte Mädchen ist wach geworden, jedenfalls bewegt sie sich in ihrem Bett hin und her. Nico kommt mit einer Rolle Klopapier zurück.
    Kannst du mir nicht endlich sagen, was los ist, fragt er.
    Ich putze mir die Nase.
    Sags doch endlich.
    Leise, flüstere ich, mein Kiefer, die Schnitte hinten, alles pocht, das Klopapier ist grau und so hart, dass es wehtut, wenn man sich über die Augen wischt, davon muss man nur noch mehr heulen. Ich atme tief durch, ich schaue rüber zu dem verbrannten Mädchen, sie bewegt sich nicht mehr, vielleicht versucht sie wieder einzuschlafen, vielleicht hätte sie gern was gesagt, zum Beispiel, dass wir aufhören sollen, zu bumsen und zu heulen, ich will schlafen, hört endlich auf damit, würde sie vielleicht gern sagen, aber vielleicht kann sie nicht sprechen, denke ich, und dass sie und ich dann was gemeinsam hätten, wenn sie nicht reden könnte, aber wir haben nichts gemeinsam, ich kann nämlich reden, und ich kann jetzt was sagen und ich will das jetzt auch. Ich atme tief durch.
    Wir haben es gesehen, flüstere ich.
    Was gesehen?
    Wie er auf sie eingestochen hat, auf dem Spielplatz.
    Nico schaut mich ungläubig an.
    Was?
    Nichts was, verdammt, wir haben oben auf der Rutsche gesessen, wir haben alles gesehen. Wie er sie in den Arm genommen hat und wie er sie dann mit seinem Messer bearbeitet hat, wie Jasna da lag, danach, in ihrem Blut und ihrer Kotze.
    Nicht dein Ernst, sagt Nico.
    Du hast doch keine Ahnung vom Tod, von wegen natürlich und Teil des Lebens, du hast doch überhaupt keine Ahnung.
    Nico schweigt, schaut auf das Bettzeug.
    Wer, fragt er irgendwann.
    Ich zerbrösle das harte Arschpapier zwischen den Fingern.
    Tarik, sage ich, es war Tarik.
     
    Du musst zu den Bullen, sagt Nico zum ungefähr hundertsten Mal, seit wir aufgewacht sind.
    Ich springe aus dem Bett und ziehe die Vorhänge auf.
    Lass mich in Ruhe, sage ich, ich will nicht mehr darüber reden.
    Du kannst doch nicht so tun, als wäre nichts passiert. Wie gesagt, ich komme mit, wenn du willst, du musst das nicht alleine durchstehen.
    Durchstehen, wenn ich das schon höre. Einen Scheiß musst du mit durchstehen, du hast doch gar nichts damit zu tun, sage ich.
    Jetzt schon, sagt Nico.
    Ich werfe ihm seine Klamotten rüber.
    Hier, gleich ist Visite, du musst jetzt gehen.
    Beleidigt zieht Nico sich an. Wir fahren zusammen den Aufzug runter bis ins Erdgeschoss, keiner sagt ein Wort. Als wir vorm Ausgang stehen, schaut Nico mich lange an.
    Was ist, sage ich.
    Ich sage das jetzt echt ungern, aber, wenn du es nicht machst, dann mach ich es.
    Du machst was, wenn ich was nicht mache?
    Zu den Bullen gehen, sagt Nico, du machst dich als Mitwisser strafbar, wenn du nichts sagst. Und ich auch.
    Glaubst du etwa, daran hab ich nicht auch schon gedacht?
    Überlegs dir, sonst ziehe ich das alleine durch, ernsthaft, sagt Nico, dann dreht er sich um und geht.
    Ich torkle zurück zum Aufzug und von da aus in mein Zimmer, als hätte ich zu viel Tigermilch getrunken, genauso fühle ich mich. Die Verbrannte sitzt aufrecht in ihrem Bett, schlürft an meinem Plastikbecher rum und schaut mich vorwurfsvoll an. Ich krieche zurück ins Bett, ihr Frühstück steht auf meinem Nachttisch, Müsli mit Joghurt, ich tauche den Löffel tief hinein, ich verstecke das Müsli unter dem Joghurt, so wie der Eisbär von Terra X vergrabe ich die Flocken im Weiß, schön kalt der Joghurt, nur das Müsli klebt an meinen Zähnen, ich versuche trotzdem zu kauen.
    Jameelah und ich, wir müssen reden, aber schon allein der Gedanke geht gar nicht, der ist komplett raus, der kann gleich runter vom Platz und duschen gehen. Amir, denke ich, ich muss mit Amir reden, ich muss ihm alles erzählen, dann kommt er vielleicht zur Vernunft, hätte ich längst machen können, hätte ich längst machen müssen, warum habe ich das nicht, denke ich.
    Die Verbrannte räuspert sich.
    Du blutest, sagt sie.
    Ich drehe mich zur Seite.
    Da, sagt sie und zeigt dabei auf ihren Mund.
    Scheiße.

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