Tigermilch
der Mann hat jetzt die Hand an der Bürste, und die Hand bewegt sich immer schneller und schneller.
Aufhören, schreie ich, sofort, alle beide.
Jessi kreischt, Pepi springt vom Sofa runter und rennt zur Tür, dabei fällt ihm die Mohrrübe aus der Unterhose.
Du gehst sofort nach Hause, hast du gehört, rufe ich ihm hinterher.
Jessi fängt an zu heulen.
Ich reiße den Stecker aus dem Fernseher, springe auf Mamas Sofa und packe Jessi, ich schnappe mir die Zucchini und pfeffere sie ans andere Ende des Wohnzimmers.
Was fällt dir ein, in meinen Sachen rumzuwühlen, schreie ich und schüttle sie kräftig durch.
Der Pepi darf nicht nach Hause, schreit Jessi, das hat Mama gesagt!
Wieso, frage ich.
Sie haben gesagt, wir sollen hierbleiben, höre ich Pepi sagen, er steht in der Tür, den einen Fuß auf dem anderen, die Zehen ineinandergekrallt.
Wer?
Nico.
Und Mama, sagt Jessi.
Sie sind zur Polizei, Nico hat gesagt, sofort, und dann, sagt Pepi, dann haben sie gesagt, wir sollen hierbleiben und niemandem aufmachen.
Polizei?
Ja, Polizei.
Zieht euch sofort was an, sage ich.
Ich gehe zur Stereoanlage und mache die Musik aus, ich nehme die DVD aus dem Player und laufe mit Amirs Karton unterm Arm in mein Zimmer. Ich nehme mir den Aschenbecher, der draußen auf der Fensterbank steht, und zerbrösle so lange alte Kippen, bis ich mir aus dem Schmand eine neue drehen kann. Ich ziehe kräftig an der Schmandkippe, der alte Tabak brennt runter wie sonst was, ich ziehe gleich noch mal, ich mache es so wie Dragan, so kräftig an der Kippe ziehen, dass die gar nicht hinterherkommt, dann öffne ich mit zitternden Fingern Amirs Karton. Ein Haufen DVD s liegen drin, vorn sind nackte Menschen drauf, meistens Frauen, auf dem obersten Cover ist eine, die einem Mann einen bläst. Ich nehme die DVD s aus dem Karton und lege sie mit den Covern nach unten vor mich auf den Teppichboden, wie beim Memory, so als würde das helfen zu verstehen, warum Amir mir das hier gegeben hat. Nach und nach drehe ich die Cover wieder richtig rum. Verstehen tue ich es immer noch nicht.
Ich lege die DVD s zurück in den Karton. Auf der letzten ist ein eigentlich ganz niedlicher Typ drauf. Er packt sich mit der einen Hand in die Unterhose und grinst, er hat genauso blaue Augen wie Tarik und die gleichen dunklen Locken, aber Tarik habe ich nie so fröhlich grinsen gesehen, Tarik hat immer nur traurig gelächelt, und anders als der Typ auf dem Cover sahen Tariks Locken nie niedlich aus, denn sobald sie anfingen, niedlich auszusehen, hat er sie sofort abgeschnitten. Tarik wollte nicht niedlich sein, obwohl er es hätte sein können, aber genau das mochte ich so an ihm. Ich ziehe kräftig an der Kippe, so als ob das gegen die Traurigkeit helfen würde, da sehe ich, am Filter klebt Blut. Ich laufe ins Bad, stecke mir Klopapier hinten in den Mund und schaue in den Spiegel.
Noura hat mal gesagt, mutig sind die, die Dinge tun, vor denen sie Angst haben, das heißt, wenn jemand etwas tut, wovor er sowieso keine Angst hat, vom Zehner springen oder so, dann mag es noch so mutig erscheinen, es hat mit wahrem Mut nichts zu tun.
Ich packe die DVD s und den Karton in einen Müllsack. Jessi und Pepi hocken auf dem Sofa und schauen fern, sie haben wieder ganz normale Klamotten an. Ich gehe zum Schnuckelschrank, hole eine Packung Kekse heraus und lege sie auf den Wohnzimmertisch.
Hört zu, sage ich, ihr bleibt hier, genau wie Mama und Nico gesagt haben, ihr esst die Kekse und schaut fern, ich bin gleich zurück, ihr macht niemandem auf, auch niemandem, den ihr kennt, verstanden.
Ja, sagt Jessi und nickt.
Ich sprinte wie eine Blöde die Straße herunter, ich renne, so schnell ich kann, wie diese Rothaarige in dem einen Film, habe ich mal im Fernsehen gesehen, sie ist durch die ganze Stadt gerannt und hat genauso wenig Puste gehabt wie ich jetzt, und genauso wie ich hatte sie eine Plastiktüte in der Hand, da waren aber 100.000 Euro drin und keine Pornos. Ich renne keuchend über die Kreuzung, Autos hupen, oben in den spitzen Türmen der Moschee jault der Muezzin, ein Schwarm schwarzer Vögel, von denen Jameelah behauptet, dass es Dohlen sind und keine Raben, fliegt auf, wie sie so orientierungslos um die Türme flattern, einer neben dem anderen, die Flügel ausgebreitet vor dem weißen verwolkten Himmel, sehen sie aus wie ein riesengroßes im Wind wehendes Palituch.
Auf dem Bürgersteig vor der Wache stütze ich die Hände auf die Knie und ringe nach Atem.
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