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Tijuana Blues

Tijuana Blues

Titel: Tijuana Blues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Trujillo Muñoz
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spielen.«
    »Wilhelm Tell«, korrigierte ihn Morgado.
    »Was auch immer. Aber der Schuss ging daneben. Anstatt das Glas auf Joans Kopf zu treffen, traf er sie mitten zwischen die Augen. Sie lebte schon nicht mehr, als das Rote Kreuz eintraf.«
    »Und was hat Timothy gemacht?«
    »Er rief einen Krankenwagen, als er sah, dass Joan mit dem Tod rang. William stand unter Schock. Er war völlig in Panik. Er sagte immer nur: ›Joan, Joan, sag doch was, Joan.‹ Aber seine Frau lag bereits in den letzten Zügen. Meine Mutter erfuhr eine Stunde später davon und musste zur Polizeiwache gehen, um meinen Vater abzuholen. Alle mussten an diesem Abend und an den folgenden Tagen zum Geschehen aussagen. Burroughs steckten sie in den Bau, und dort blieb er einige Tage, bis sein Anwalt ihn rausholte.«
    Morgado holte die Burroughs-Biografie aus der Mappe und suchte eine umgeknickte Seite. »Sieh mal. In dem Buch wird die ganze Sache abgehandelt. Und nirgendwo ist der Name deines Vaters erwähnt.«
    El Güero machte eine verächtliche Geste. »Weil er kein Künstler war, taucht er auch nicht auf. Ich habe mehrere Bücher wie das konsultiert, überall dasselbe. Mein Vater ist ein Gespenst.«
    Morgado merkte, dass der Kunsttischler melancholisch wurde, und klopfte ihm kameradschaftlich auf die Schulter.
    »Manchmal glaube ich, meine Mutter hat die ganze Geschichte erfunden, um mich, als ich klein war, in den Schlaf zu lullen«, flüsterte El Güero, »dass mein Vater ein anderer war … Ich weiß nicht … das alles geschah vor so langer Zeit … in einem anderen Mexiko.«
    Morgado las den Abschnitt vor, von dem er wollte, dass sein Mandant ihn verinnerlichte: »Seit der ersten Nacht im Gefängnis wusste Burroughs, dass die Chancen freizukommen gut standen. Bernabé Jurado, sein Anwalt, machte ihm klar, dass Joan tot war, dass er sich um sich selbst kümmern müsse, vor allem darum, möglichst schnell aus dem Gefängnis herauszukommen. Es war für ihn von Vorteil, dass die Mexikaner den Tod als einen alltäglichen Akt ansehen, der sie nicht sonderlich beeindruckt. Deshalb haben die Polizisten, die ihn verhafteten, ihm als Erste Rückendeckung gegeben: ›Machen Sie sich keine Gedanken, Gringo‹, sagten sie zu ihm, ›das kann jedem passieren. Das ist die einzige Form, wie die Frauen kapieren: Schüsse.‹ Das war das Glück unseres Schriftstellers: eine Frau in einem Land ermordet zu haben, in dem das Leben nichts wert ist, und wenn es sich um das Leben einer Frau handelt, umso weniger.«
    »Verdammte Gringos«, stammelte El Güero. »Sie sehen uns immer als wilde Rohlinge wie Frito, der Bandit. Und was ist mit ihnen? Die reinsten Heiligen? Nein, keineswegs. Serienmörder, Scheißschwachköpfe.«
    Morgado sah das genauso, aber er wollte beim Thema bleiben. »Wie ist dein Vater in die Sache mit dem Heroin geraten?«
    Der Kunsttischler packte mit beiden Händen das leere Glas, und Morgado dachte, er könnte es ohne weiteres zerquetschen, wenn er wollte. »Jurado hat Burroughs aus dem Gefängnis geholt. Aber die Nachricht von dem Tötungsdelikt sorgte dafür, dass der größte Teil der amerikanischen Gemeinde sich von ihm abwandte. Er hatte keine Freunde mehr. Nun, fast keine.«
    »Timothy hat ihn nicht verlassen, nicht wahr?«
    »Mein Vater hatte ein gutes Herz. Ein Idealist. Die Briefe, die er meiner Mutter während der Verlobungszeit geschrieben hat, sind voller Liebe und Großherzigkeit. Und weil er wie ein kleiner Junge an den Kommunismus glaubte, trennte er sich von all seiner Habe, um den Schmerz der anderen zu lindern. Er machte eine Bauchlandung, als Burroughs ihn um einen Gefallen bat, den er nicht abschlagen konnte.«
    »Noch einen Tequila?« Morgado stellte die Frage mehr aus Höflichkeit und nicht, weil er wirklich eine Antwort von Güero haben wollte, und hob die Hand wie ein Schiffbrüchiger in einem Meer aus Schnaps.
    »Ja, noch einen. Nur so löst sich meine Zunge.«
    »Und was war das für ein Gefallen?«
    »Burroughs’ Anwalt, Jurado, war verschlagen. Aber das trifft wohl auf alle Anwälte zu.« Der Kunsttischler hielt inne, als hätte er etwas Falsches gesagt.
    »Schon gut«, sagte Morgado. »Trinken wir darauf.«
    El Güero lachte, schon entspannter. Der Kneipenwirt stellte ihnen ein paar Fleisch- und Fischtapas hin und füllte die Gläser.
    »In weniger als zwei Wochen hatte Jurado es geschafft, Burroughs aus dem Gefängnis herauszuholen. Aber der musste mehr als zweitausend Dollar abdrücken. Er hatte keinen Cent

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